BKA - Die Jaeger des Boesen
Polizei bekannt und erscheint im Hellfeld. Von dieser Hälfte wird wiederum nur die Hälfte aufgeklärt. Davon stellt die Staatsanwaltschaft etwa ein Drittel aus Rechtsgründen ein; der Rest wird angeklagt. In wiederum einem Drittel der angeklagten Fälle endet das gerichtliche Verfahren mit Freisprüchen, Geld-oder Bewährungsstrafen. Nur ein Bruchteil aller Straftäter kommt letztlich ins Gefängnis. Unbestreitbar sind darunter in einer nicht unbeträchtlichen Zahl auch solche, denen es an Ausdrucksvermögen, Geschick oder materiellen Möglichkeiten mangelt, sich – wie andere – mithilfe von Anwälten oder Sachverständigen der Strafe zu entziehen«.
Man könnte es Klassenjustiz nennen. Jedoch nicht im marxistischen Sinne, so wie es von Ideologen gemeint ist, also als systemimmanent, sondern als »Produkt ineinandergreifender Schwachstellen und Defekte«.
Herold gibt schon lange keine Interviews mehr. Von der dritten Generation der Rote Armee Fraktion zum Beispiel, deren Gründer sein Leben mehr beeinflussten als alles andere, weiß er so viel wie jeder andere Zeitungsleser. Sie stellt keine Gefahr mehr für den Staat dar, weil die Szene von klammheimlichen Sympathisanten ausgestorben ist. Es bestätigt die immer schon vorhandene Überzeugung des Analytikers, dass ohne unterstützendes Umfeld eine terroristische Bewegung im Untergrund nicht überleben
kann. Auch diese frühe Erkenntnis gehört zu seinen späten Siegen. Der jung gebliebene alte Mann bringt mich wieder zum Bahnhof. An der Schranke der Kaserne grüßt der Wachposten. Man kennt sich. Horst Herold hat noch längst nicht alles gesagt, was er zu sagen wüsste.
Aber er wird es nie sagen.
KAPITEL 3
Stumme Zeugen
A uf genau diesen Moment muss der Mörder gewartet haben. Es ist kurz vor Mitternacht. Seit Einbruch der Dunkelheit liegt er in einem Schrebergarten auf der Lauer. Im ersten Stock des Backsteinhauses, auf das er freies Schussfeld hat, geht das Licht an. Vor dem hellen Hintergrund sieht der Schütze die Silhouette seines Opfers wie auf dem Präsentierteller. Er drückt ab. Schon der erste Schuss, der die Wirbelsäule durchtrennt, ist tödlich. Am Ostermontag 1991, dreißig Minuten vor Mitternacht, stirbt Detlev Rohwedder.
Seine Frau wird die Nacht, in der ihr Mann ermordet wurde, natürlich nie vergessen. Auch körperliche Schmerzen sind seitdem ihre ständigen Begleiter. Ihren linken Arm kann Hergard Rohwedder nicht mehr richtig bewegen. Der zweite Schuss, der aus dem Dunkel abgefeuert wurde, traf sie, weil sie in das Zimmer gestürzt war, in dem sie ihn fallen sah. Er zerschmetterte den Ellbogen. Nerven und Gelenk sind zerstört, implantiertes Metall muss stützen. In den vergangenen zwei Jahren ist sie erneut viermal operiert worden.
Darüber klagt sie nicht. Anderen in ihrem Alter, sagt sie, gehe es schlechter. Mit einem Arm lässt sich leben. Und wie lebt es sich mit dem Hass auf die Mörder? Sie gibt mir meine Frage zurück. Hass? Nein. »Ich empfinde keinen Hass. Was sollte ich tun, falls ich wüsste, wer es war? Ihn erschießen?« Das klingt nach Schicksalsergebenheit. Aber Hergard Rohwedder neigt nicht dazu, ergeben zu sein. Am Schicksal, das ihr den Mann nahm, kann sie nichts mehr ändern. Aber an denen, die den Anschlag nicht verhindert
haben, obwohl sie ihn hätten verhindern können, ja müssen, wie sie glaubt, an denen, die ihren Mann und sie nicht besser beschützten, lässt sie auch zwanzig Jahre nach dem Mord noch ihren Zorn aus.
Sie ist zornig, dass die Sicherheitsbehörden nicht genügend getan haben, um das Leben ihres Mannes zu schützen, und sie ist zornig, dass die Aufklärung nach dem Tod »fehlerhaft und fahrlässig war«. Die Erklärung der zuständigen staatlichen Stellen des Landes Nordrhein-Westfalen nach dem Attentat, ihr Mann habe eine intensivere Bewachung abgelehnt und die Familie oder die Firma Hoesch, der die Villa gehörte, habe eine Panzerverglasung auch der oberen Etage des Hauses verweigert, »entspricht nicht der Wahrheit«. Auch habe Detlev Rohwedder den Beamten nicht etwa über Ostern freigegeben. Er konnte ihnen schon deshalb nicht freigeben, weil die für den Dienst gar nicht vorgesehen waren in Nordrhein-Westfalen.
Da gilt für ihn Sicherheitsstufe zwei, angeordnet vom zuständigen Innenministerium, obwohl er qua Amt zu den am meisten gefährdeten Personen in der Bundesrepublik gehörte und obwohl er in Berlin am Sitz der Treuhandanstalt selbstverständlich einen Begleitschutz hatte – eben
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