BKA - Die Jaeger des Boesen
Organisierten Kriminalität war 1990 nicht nur eine Aufgabe für die zentrale Verwaltung, die neue Türschilder beschaffen musste, war nicht nur ein Problem für die Amtsleitung, die ein neues Organigramm zu erstellen hatte. Wesentlich war vor allem die Kulturrevolution in den Köpfen der Vollzugsbeamten, wobei das wörtlich so gemeint ist: Revolution einer traditionellen polizeilichen Kultur. Neue Strukturen jedoch verlangten neues Denken.
Das wurde jetzt verordnet. Dem hatten sich alle zu fügen oder aber um Versetzung zu bitten. Die meisten blieben. Der diskrete Charme einer Zeitenwende im Bundeskriminalamt war stärker als die überholten Lebensweisheiten aller Bürokratien, die auch für die Firma BKA galten, nämlich: da könne ja jeder kommen, das habe man noch nie so gemacht, das können sich nur Betriebsblinde ausgedacht haben. Eine neue Generation von Beamten, bestens geschult, frei von politischen Prägungen, erfüllt vom Selbstbewusstsein, Vertreter des demokratischen Rechtsstaats mit einem besonderen Auftrag zu sein, unterstützte die Kulturrevolution innerhalb des BKA und verinnerlichte die neue OK-Strategie.
Sobald sich auf Anweisung des Generalbundesanwalts oder des Bundesinnenministers die »Superbullen« aus Wiesbaden aber in andere Fälle als die des Terrorismus einschalteten und die Ermittlungen übernahmen, stießen sie auf kollegiales Misstrauen. Was eigentlich können die, das wir vor Ort nicht genauso gut können? Als besonders widerborstig und auch widerstandsfähig erwiesen
sich die Zollfahnder. Die erfüllten stur ihre Pflicht, ohne über Grenzen hinaus zu denken. Beispielsweise stellten sie, wie sie es immer gemacht hatten und wofür sie gelobt worden waren, an Grenzen Rauschgift sicher, nahmen die Täter fest, beschlagnahmten deren Autos und legten dann den Vorgang als ihren eigenen Erfolg zu den Akten. Aus ihrer Sicht war der Fall, den Ratzel mir als typisch beschrieben hatte, auch abgeschlossen, aber aus Sicht der BKA-Beamten noch lange nicht. Die wollten an die Bosse ran, deren Geschäftsmodelle lahmlegen, nicht nur zufällig an Grenzen ein paar Einzeltäter festnehmen.
Was man heute ganz selbstverständlich Controlled Delivery nennt, wovon auch die Zollfahnder inzwischen überzeugt sind, musste als kriminalistische Taktik erklärt werden, und dies behutsam unter Kollegen statt mit Anweisungen von oben. »Kontrollierte Lieferung« bedeutet, Rauschgifttransporte zwar zu observieren, aber ungestört laufen zu lassen bis zum Endabnehmer und umgekehrt zurückzuverfolgen bis zum Produzenten. Jedes Verbrechen geschieht zwar irgendwo ganz konkret. Aber in der Organisierten Kriminalität sind diese lokalen Aktionen miteinander vernetzt. Diese Vernetzungen aufzudecken schafft nicht der Polizist vor Ort. Dazu braucht er Kollegen, die andere Möglichkeiten haben, andere Fähigkeiten, andere Fertigkeiten, andere Kanäle, andere Kompetenzen. Sie sind nicht besser, sie sind nur mit dem, was sie können, besser eingesetzt dort, wo die anderen noch nie waren, weshalb diese also auch nicht wissen, was da abläuft. Und jene Kollegen sitzen nun mal in Wiesbaden in der Abteilung SO, Schwere und Organisierte Kriminalität. Rangeleien um Kompetenzen, Diskussionen um die passende Beschreibung dessen, was Organisierte Kriminalität ist, sind heute kein Thema mehr. Die Lage ist zu ernst für Grabenkämpfe, und die Lage ist erkannt. Von allen erkannt.
Auf den vorderen Plätzen rangieren in der jüngsten Statistik des Jahres 2010 nach wie vor die deutschen und die türkischen OK-Gruppen, die einen mit 1582, die anderen in deutlichem Abstand mit 550 neu ermittelten Tatvorgängen. Im Potenzial, das
sich ergibt aus der Relevanz ihrer Verbrechen, dem Ausmaß und Niveau ihrer Organisation, liegen beide aber fast gleichauf. Es folgen Italiener, Nigerianer, Polen, Serben, Rumänen, Libanesen, Russen, Litauer. Allen OK-Gruppierungen können die Beamten ihre kriminelle Kernkompetenz zuordnen: Bei den deutschen sind es nach wie vor Rauschgifthandel und Betrug, bei den Türken und Libanesen Handel mit Heroin und Kokain, bei den Polen Kfz-Diebstahl und Zigarettenschmuggel, bei den Russen Wirtschaftskriminalität und Drogen und Menschenschmuggel, bei den Rumänen und Nigerianern vorrangig Menschenhandel und Zwangsprostitution, bei Italienern Mafia, ’Ndrangheta, Camorra – Erpressung, Mord, Betrug. Allen gemeinsam ist eine strenge hierarchische Rangordnung. Wer die nicht einhält, stirbt.
Hierarchische Pyramiden haben
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