Black Box: Thriller (German Edition)
Eine Riesensauerei, was damals passiert ist.«
»Allerdings. Aber davor, als wir Partner waren, hatte er immer diesen speziellen Spruch über Mordermittlungen abgelassen. Er hat immer gesagt: Du musst die Black Box finden. Das ist das Erste: die Black Box finden.«
Gant sah ihn verständnislos an.
»Meinst du, wie in einem Flugzeug?«
Bosch nickte.
»Ja, es ist wie bei einem Flugzeugabsturz. Als Erstes müssen sie die Black Box finden, in der alle Flugdaten aufgezeichnet sind. Sie brauchen nur die Black Box zu finden, dann wissen sie, was passiert ist. Und Frankie meinte, am Tatort eines Mords oder bei einem Mordfall wäre es genauso. Immer gibt es ein bestimmtes Detail, das alles andere erklärt. Wenn man das findet, ist die Sache geritzt. Es ist, wie wenn man nach einem Flugzeugunglück die Black Box findet. Und jetzt gibst du mir eine solche Black Box.«
»Na ja, erwarte mal lieber nicht zu viel von der hier. Wir nennen diese Dinger CRASH -Boxen. Es sind nur die Vernehmungskarten von damals.«
Vor der Einführung des MDT – des mobilen Datenterminals, der in jedem Streifenwagen eingebaut ist – hatten die Officer des LAPD sogenannte Vernehmungskarten einstecken. Das waren ganz normale Karteikarten, auf denen sie Notizen zu Außendienstvernehmungen festhielten. Darauf wurden sowohl Uhrzeit, Datum und Ort der Vernehmung eingetragen wie auch Name, Alter, Adresse, Pseudonyme, Tattoos und Gang-Zugehörigkeit der Vernommenen. Es gab auch ein Feld für Kommentare des jeweiligen Officers, in dem alle Beobachtungen vermerkt wurden, die dieser für erwähnenswert hielt.
Der Ortsverband der American Civil Liberties Union kritisierte schon lange die Praxis der Polizei, Außendienstvernehmungen durchzuführen. Er bezeichnete sie als ungerechtfertigt und verfassungswidrig und stellte sie auf eine Stufe mit dem Filzen Verdächtiger. Die Polizei hielt unverdrossen an der Praxis fest, und die Vernehmungskarten wurden auch über ihre Reihen hinaus als »shake cards«, als Filzkarten, bekannt.
Bosch bekam die Box gereicht und öffnete sie. Sie war voller abgegriffener Karten.
»Wie hat diese Box das große Ausmisten überstanden?«, fragte er.
Gant wusste, dass er damit die Umstellung auf EDV meinte. Um der elektronischen Zukunft nicht länger im Weg zu stehen, waren alle schriftlichen Unterlagen in digitale Dateien umgewandelt worden.
»Mann, allen war doch klar, wie viel auf der Strecke bleiben würde, wenn sie das alles digital archivieren. Die Karten sind alle von Hand ausgefüllt, Harry. Manchmal ist die Schrift ums Verrecken nicht zu entziffern. Uns war von Anfang an klar, dass der größte Teil der Informationen auf diesen Karten verlorengeht, wenn du weißt, was ich meine. Deshalb haben wir so viele von diesen Black Boxes aufbewahrt wie nur möglich. Du hast Glück, Harry, dass wir die Sixties noch in einer Box hatten. Hoffentlich ist was drinnen, was dir weiterhilft.«
Bosch schob seinen Stuhl zurück, um aufzustehen.
»Du wirst sie auf jeden Fall zurückbekommen.«
4
B osch kam noch vor Mittag in die Abteilung Offen-Ungelöst zurück. Der Bereitschaftsraum war so gut wie leer, weil die meisten Detectives früh zum Dienst erschienen und früh Mittagspause machten. Von David Chu, Boschs Partner, war nichts zu sehen, aber das machte nichts. Chu war möglicherweise Mittag essen oder irgendwo im Haus oder in einem der ausgelagerten kriminaltechnischen Labors in der Nähe. Bosch wusste, dass Chu an einer Reihe von Einsendungen arbeitete. Dabei handelte es sich um Fälle im Anfangsstadium, für die genetische oder ballistische Beweise oder Fingerabdrücke aufbereitet und zur Analyse und Vergleichung an die zuständigen Labors geschickt werden mussten.
Bosch legte die Black Box und die Akten auf seinen Schreibtisch und griff nach dem Telefon, um nachzusehen, ob irgendwelche Nachrichten für ihn eingegangen waren. Niemand wollte etwas von ihm. Er machte sich gerade daran, das Material zu sichten, das er von Gant erhalten hatte, als der neue Lieutenant der Einheit an seinem Abteil vorbeikam.
Cliff O’Toole war nicht nur bei Offen-Ungelöst neu, sondern auch in der Robbery-Homicide Division. Er kam vom Valley Bureau, wo er das Kriminaldezernat von Van Nuys geleitet hatte. Bosch hatte noch nicht viel mit O’Toole zu tun gehabt, aber was er von Kollegen über ihn gehört hatte, klang nicht gut. Nach Übernahme der Leitung von Offen-Ungelöst hatte sich der Lieutenant in Rekordzeit nicht nur einen, sondern zwei
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