Black Box: Thriller (German Edition)
Spitznamen mit negativem Beigeschmack eingehandelt.
»Wie lief’s da oben, Harry?«, fragte O’Toole.
Bevor er die Reise nach San Quentin genehmigt hatte, hatte sich der Lieutenant ausführlich über die Übereinstimmung der Tatwaffen zwischen dem Fall Jespersen und dem von Rufus Coleman verübten Mord an Walter Regis erkundigt.
»Gut und schlecht«, antwortete Bosch. »Ich habe einen Namen von Coleman bekommen. Trumont Story. Coleman hat gesagt, Story hat ihm die Waffe gegeben, die er bei Regis verwendet hat, und hinterher wieder von ihm zurückbekommen. Der Haken an der Sache ist nur, dass ich mir Story nicht mehr vorknöpfen kann, weil er inzwischen tot ist – er wurde 2009 umgelegt. Deshalb war ich heute Vormittag im South Bureau und habe mich erkundigt, ob das vom zeitlichen Ablauf her möglich ist und ob Story auch wirklich ins Bild passt. Ich glaube, dass Coleman die Wahrheit gesagt hat und nicht nur versuchen wollte, alles auf einen Toten zu schieben. Insofern war mein Trip nicht umsonst, auch wenn er mich der Klärung der Frage, wer Anneke Jespersen umgebracht hat, keinen Schritt näher gebracht hat.«
Er deutete auf die Akten und die Schachtel auf seinem Schreibtisch.
O’Toole nickte nachdenklich, verschränkte die Arme und setzte sich auf die Kante von Dave Chus Schreibtisch, genau auf die Stelle, wo Chu immer seinen Kaffee abstellte. Wäre Chu hier gewesen, hätte ihm das nicht gefallen.
»Ich belaste das Reisebudget nur sehr ungern mit unnützen Ausflügen«, sagte der Lieutenant.
»Unnütz war die Reise ja nicht«, sagte Bosch. »Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, dass ich einen Namen bekommen habe und dass der Name passt.«
»Tja, dann sollten wir vielleicht einfach eine Schleife drum machen und die Sache auf sich beruhen lassen«, sagte O’Toole.
Die Wendung, eine Schleife, englisch
bow,
um einen Fall zu machen, leitete sich ab von C-Bow beziehungsweise CBO :
cleared by other means,
was bedeutete, dass ein Fall auf anderem Weg gelöst worden war. Damit war gemeint, dass ein Fall offiziell zu den Akten gelegt wurde, weil die Lösung zwar bekannt war, aber nicht zu einer Festnahme oder Anklageerhebung führte, weil der Tatverdächtige zum Beispiel tot war oder aus anderen Gründen nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden konnte. Bei Offen-Ungelöst wurden Fälle oft »auf anderem Weg« gelöst, weil sie häufig Jahrzehnte alt waren und die Übereinstimmungen von DNA -Spuren oder Fingerabdrücken auf die Spur von Verdächtigen führten, die längst verstorben waren. Wenn die nachträglichen Ermittlungen ergaben, dass der Verdächtige in den zeitlichen und örtlichen Rahmen der Straftat passte, war der Leiter der Einheit ermächtigt, den Fall für gelöst zu erklären und ihn zur ungeprüften Absegnung an die Staatsanwaltschaft zu schicken.
Doch bei Jespersen war Bosch noch nicht bereit, diesen Weg zu beschreiten.
»Nein, hier haben wir keinen CBO «, erklärte er bestimmt. »Ich kann die Tatwaffe in den vier Jahren nach meinem Mord nicht ausschließlich in Trumont Storys Hände legen. In diesem Zeitraum könnte sie sich in allen möglichen Händen befunden haben.«
»Das kann durchaus sein«, sagte O’Toole. »Aber ich möchte nicht, dass Sie das zu Ihrem Hobby machen. Wir haben sechstausend andere Fälle. Fallmanagement läuft auf Zeitmanagement hinaus.«
Er hielt die Handgelenke aneinander, als wollte er sagen, durch die Zwänge des Jobs seien ihm die Hände gebunden. Genau diese Beamtenmentalität O’Tooles war es, mit der sich Bosch so schwer tat. Der Mann war ein Bürokrat und kein Vorgesetzter nach dem Geschmack der einfachen Cops. Aus diesem Grund war »The Tool«, das Werkzeug, der erste Spitzname, den er verpasst bekommen hatte.
»Das weiß ich, Lieutenant«, sagte Bosch. »Ich habe vor, weiter mit diesem Material zu arbeiten, und wenn nichts dabei herauskommt, werde ich mich dem nächsten Fall zuwenden. Aber nach dem, was uns jetzt vorliegt, ist das kein CBO . Deshalb wird dieser Fall nicht dafür herhalten, unsere Statistik aufzuhübschen. Er wird als ungelöst zurückgehen.«
Bosch lag nichts an Statistiken. Ein Fall war geklärt, wenn Bosch überzeugt war, dass er geklärt war. Und dafür reichte auf keinen Fall, die Tatwaffe vier Jahre nach der Tat einem Gang-Mitglied in die Hand drücken zu können.
»Na schön, dann warten wir einfach ab, was dabei herauskommt, wenn Sie sich eingehender damit befassen«, sagte O’Toole. »Ich dränge nicht auf etwas, was nicht
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