Black Box: Thriller (German Edition)
einem Tisch sitzen konnte. Da Panorama City an hochklassigen Restaurants nicht viel zu bieten hatte, fuhren sie nach Van Nuys und aßen in der Cafeteria im Keller des Gerichts. Das war zwar auch nicht gerade ein hochklassiges Ambiente, aber es gab dort einen alten Jazzer, der an den meisten Wochentagen auf einem Stutzflügel in der Ecke spielte. Es war einer der Geheimtipps der Stadt, die Bosch kannte. Hannah war beeindruckt. Sie setzten sich an einen Tisch in der Nähe der Musik.
Sie bestellten beide einen Teller Suppe und teilten sich ein Truthahnsandwich. Die Musik glättete die stillen Stellen in ihrer Unterhaltung. Bosch lernte, sich in Hannahs Gegenwart wohl zu fühlen. Kennen gelernt hatte er sie ein Jahr zuvor bei den Ermittlungen zu einem Fall. Sie war Therapeutin und arbeitete mit aus der Haft entlassenen Sexualtätern. Das war kein leichter Job, und er verhalf ihr zu etwas von dem finsteren Wissen über die Welt, das auch Bosch besaß.
»Du hast schon mehrere Tage nichts mehr von dir hören lassen«, sagte Hannah. »War irgendwas Besonderes?«
»Ach, nur ein Fall. Ein Gun Walk.«
»Ein Gun Walk?«
»Damit ist gemeint, dass du mit einer Tatwaffe von Fall zu Fall gehst oder sie mit ihnen in Verbindung zu bringen versuchst. Die Tatwaffe selbst haben wir zwar nicht, aber aufgrund ballistischer Übereinstimmungen konnten wir zwischen mehreren Fällen einen Zusammenhang herstellen. Über die Jahre, die geografischen Orte und die Opfer hinweg, verstehst du? In so einem Fall sprechen wir dann von einem Gun Walk.«
Mehr sagte er dazu nicht, und sie nickte. Sie wusste, dass er Fragen über seine Arbeit nie ausführlicher beantwortete.
Bosch hörte zu, wie der Pianist »Mood Indigo« zu Ende spielte, dann räusperte er sich.
»Ich habe gestern deinen Sohn besucht, Hannah«, begann er.
Er war sich nicht sicher gewesen, wie er das Thema anschneiden sollte. Deshalb tat er es ganz direkt. Hannahs Suppenlöffel schlug so heftig gegen ihren Teller, dass der Pianist die Hände von den Tasten hob.
»Wie bitte?«
»Ich hatte dienstlich in San Quentin zu tun«, sagte Bosch. »Du weißt schon, wegen des Gun Walk. Ich musste mit einem Häftling dort oben sprechen. Und als ich fertig war, hatte ich noch etwas Zeit. Deshalb habe ich gefragt, ob ich deinen Sohn sehen könnte. Ich war nur zehn, fünfzehn Minuten bei ihm. Ich habe ihm gesagt, wer ich bin, und er hat gesagt, er hätte schon von mir gehört, du hättest ihm von mir erzählt.«
Hannah starrte ins Leere. Bosch merkte, dass er es falsch angepackt hatte. Ihr Sohn war kein Geheimnis. Sie hatten ausführlich über ihn gesprochen. Bosch wusste, dass er ein Sexualtäter war, der im Gefängnis saß, nachdem er sich einer Vergewaltigung schuldig bekannt hatte. Daran war seine Mutter fast zerbrochen. Aber schließlich war sie darüber hinweggekommen, indem sie beruflich neue Wege ging. Ursprünglich Familientherapeutin, hatte sie sich darauf verlegt, entlassene Sexualstraftäter wie ihren Sohn zu behandeln. Und im Zuge dieser Tätigkeit war sie Bosch begegnet. Bosch war froh, dass es sie in seinem Leben gab, und er war sich des düsteren Beigeschmacks dieser glücklichen Fügung sehr deutlich bewusst. Hätte der Sohn nicht so ein schreckliches Verbrechen begangen, hätte Bosch die Mutter nie kennengelernt.
»Wahrscheinlich hätte ich es dir vorher sagen sollen«, sagte er. »Entschuldige bitte. Ich habe vorher nichts gesagt, weil ich nicht sicher war, ob die Zeit überhaupt dafür reichen würde. Wegen der Budgetkürzungen genehmigen sie keine Übernachtungen mehr in San Francisco. Man muss am selben Tag wieder zurückfliegen, und deshalb war ich nicht sicher.«
»Was hat er für einen Eindruck gemacht?«
Ihrer Stimme war durchdrungen von der Angst einer Mutter.
»Ganz okay, würde ich sagen. Ich habe ihn gefragt, wie es ihm geht, und er meinte, gut. Mir ist jedenfalls nichts aufgefallen, was Anlass zur Besorgnis geben könnte, Hannah.«
Ihr Sohn lebte an einem Ort, an dem man entweder Raubtier oder Beute war. Er war nicht kräftig. Als er seine Tat beging, hatte er sein Opfer unter Drogen gesetzt, nicht mit körperlicher Gewalt gefügig gemacht. Im Gefängnis wurden die Rollen vertauscht, und er wurde selbst zum Opfer zahlreicher sexueller Attacken. Das hatte Hannah Bosch alles erzählt.
»Wir müssen ja nicht drüber reden«, sagte Bosch. »Ich wollte nur, dass du es weißt. Es war nicht wirklich geplant. Ich hatte einfach noch etwas Zeit und habe gefragt, ob
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