Black Box: Thriller (German Edition)
kein hallender Baustellenlärm aus dem Canyon, kein Kojotengebell.
Er sah auf die Uhr. Er musste telefonieren, wollte damit aber bis acht Uhr warten. Er legte das Telefon auf den Beistelltisch, ließ sich in den Liegestuhl sinken und spürte, wie der Morgentau durch seinen Hemdrücken drang. Das machte ihm nichts. Es fühlte sich gut an.
Normalerweise war er hungrig, wenn er aufwachte. Nicht so heute. Am Abend zuvor hatte er im Craig’s bereits einen halben Korb Knoblauchbrot verdrückt, bevor er sich über einen Green-Goddess-Salat und das New-York-Strip-Steak hergemacht hatte. Dazu war schließlich noch die Hälfte des Brotpuddings gekommen, den seine Tochter zum Nachtisch bestellt hatte. Das Essen und die Unterhaltung hatten zum Besten gehört, was er seit langem erlebt hatte, und der Abend war rundum gelungen. Maddie und Hannah waren der gleichen Meinung, obwohl sie nicht mehr im Geringsten interessierte, wie das Essen schmeckte, sobald sie den Schauspieler Ryan Phillippe entdeckt hatten, der ein paar Tische weiter mit ein paar Freunden aß.
Als Bosch jetzt in aller Ruhe seinen Kaffee trank, wusste er, dass es sein ganzes Frühstück war. Um acht Uhr schob er die Terrassentür zu und rief seinen Freund Bill Holodnak an, um sich zu vergewissern, dass ihre – schon vor einiger Zeit getroffene – Vormittagsverabredung noch stand. Um nicht belauscht zu werden oder seine Tochter frühzeitig zu wecken, sprach er sehr leise. Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass es kaum etwas Schlimmeres gab als ein pubertierendes Mädchen, das an einem schulfreien Tag zu früh geweckt wurde.
»Meinetwegen können wir, Harry«, sagte Holodnak. »Ich habe die Laser schon gestern eingestellt, und seitdem war niemand mehr in der Anlage. Eine Frage hätte ich allerdings noch. Willst du es mit Bumerang machen? Dann müssten wir sie nämlich in eine Schutzausrüstung stecken, aber eigentlich sollte sie auf jeden Fall in alten Klamotten herkommen.«
Holodnak war der LAPD -Ausbilder, der für den Force Options Simulator in der Akademie in Elysian Park zuständig war.
»Ich würde sagen, den Bumerangmodus lassen wir lieber noch mal, Bill.«
»Dann muss ich auch weniger saubermachen. Wann wollt ihr herkommen?«
»Sobald ich sie aus dem Bett kriege.«
»Ah, kenne ich von meiner eigenen Kleinen. Aber einen Zeitpunkt solltest du mir schon sagen, damit ich auch da bin.«
»Wäre zehn okay?«
»Klar.«
»Gut. Dann …«
»Nicht so schnell, Harry, was hörst du zur Zeit so an Musik?«
»Ein paar alte Live-Aufnahmen von Art Pepper. Hat meine Tochter als Geburtstagsgeschenk für mich aufgestöbert. Wieso, hast du irgendwas für mich?«
Holodnak war ein ausgewiesener Jazz-Kenner. Und seine Tipps waren in der Regel Gold wert.
»Danny Grissett.«
Bosch hatte den Namen schon gehört, konnte ihn aber nicht einordnen. Es war ein Spiel, das er und Holodnak häufig spielten.
»Ein Pianist«, sagte Bosch schließlich. »Spielt in Tom Harrell’s Band, oder? Ein Typ von hier.«
Bosch war stolz auf sich.
»Richtig und falsch. Er ist zwar von hier, lebt aber schon seit einiger Zeit in New York. Hab ihn letzte Woche, als ich Lili besuchen war, mit Harrell im Standard gesehen.«
Holodnaks Tochter war Schriftstellerin und lebte in New York. Er flog oft an die Ostküste und machte zahlreiche Jazz-Entdeckungen in den Clubs, in denen er sich nachts herumtrieb, wenn ihn seine Tochter aus der Wohnung warf, damit sie ungestört schreiben konnte.
»Inzwischen spielt Grissett auch eigene Sachen ein«, fuhr Holodnak fort. »Ich würde dir
Form
empfehlen. Ist zwar nicht seine neueste CD , solltest du dir aber unbedingt mal anhören. Neo-Bop. Er hat einen fantastischen Tenorsaxophonisten, der dir bestimmt gefällt. Seamus Blake. Zum Beispiel das Solo in ›Let’s Face the Music and Dance‹. Echt stark.«
»Okay, ich werde mal reinhören«, sagte Bosch. »Dann also bis zehn.«
»Moment, Moment. Nicht so schnell, mein Lieber«, sagte Holodnak prompt. »Jetzt bist du dran. Rück was raus.«
So lief das Spiel. Nachdem Bosch etwas bekommen hatte, war er an der Reihe, etwas zu geben. Er musste Holodnak etwas nennen, was dieser möglichst noch nicht auf seinem Jazz-Radar hatte. Er dachte angestrengt nach. Er war in den letzten Tagen ganz in die Pepper- CD s abgetaucht, die Maddie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, doch davor hatte er versucht, seinen Jazzhorizont ein wenig zu erweitern und sich in jugendlichere Gefilde vorzutasten, um so vielleicht
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