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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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braucht sie auch nicht mehr. Er ist im Juli gestorben.«
    »Tut mir leid.«
    »Mir auch.« Ihre Miene blieb unbewegt. »Möchten Sie einen Kaffee? Ich hab Ihnen noch gar keinen angeboten.«
    Sie schenkte erst ihm eine Tasse ein, dann sich selbst, und setzte sich zu ihm an den Tisch.
    »Er ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Sein Truck ist umgekippt. Er war nicht das einzige Opfer, fünf andere Männer sind mit ihm gestorben. Vielleicht haben Sie ja etwas darüber gelesen – es stand in allen Zeitungen.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Er saß am Steuer. Mein Mann. Manche sagen, er sei schuld an dem Unfall gewesen. Es hat eine Untersuchung gegeben. Vielleicht war er ja wirklich schuld.« Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Nun, dann ist das einzig Gute an seinem Tod, dass er nicht mit der Schuld weiterleben muss. Mit der Gewissheit, dass es sein Fehler war. Das hätte ihn um den Verstand gebracht.«
    In diesem Augenblick wünschte sich Killian, er wäre Gage. Gage hätte gewusst, was er jetzt sagen sollte. Gage hätte über den Tisch gelangt und ihre Hand berührt. Killian dagegen saß nur da, mit den Stiefeln des Toten an den Füßen, und rang um Worte. »Die Besten trifft es immer am härtesten«, murmelte er. »Und meistens gibt es nicht einmal einen Grund dafür. Es ist einfach Pech. Wenn Sie nicht mit Sicherheit wissen, dass es seine Schuld war, warum grübeln Sie dann darüber nach? Es ist schon schlimm genug, jemand zu verlieren, der einem so viel bedeutet.«
    »Ich versuche ja, nicht darüber nachzudenken. Ich vermisse ihn nur so sehr. Ich danke Gott jeden Abend für die zwölf Jahre, die wir gemeinsam hatten. Ich danke Gott für unsere Töchter. Sie haben seine Augen.«
    Er nickte.
    »Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie waren noch nie so durcheinander.«
    »Ja.«
    Sie musterte ihn kurz. »Sie scheinen ungefähr seine Größe zu haben. Ich kann Ihnen noch ein Hemd und ein Paar Hosen geben.«
    »Nein, Ma’am. Das wäre nicht richtig. Sachen anzunehmen, für die ich nicht bezahlen kann.«
    »Hören Sie bloß damit auf, es geht hier nicht um Geld. Ich will dem allen nur irgendetwas Gutes abgewinnen. Ich möchte Ihnen die Sachen gerne schenken. Sie würden mir damit eine Freude machen.« Sie lächelte. Sie hatte ihr Haar zu einem Knoten hochgesteckt, und er hatte eigentlich gedacht, es sei grau, doch nun fiel Sonnenlicht durch eines der Fenster, und er sah, dass es ebenso weißblond war wie das ihrer Töchter.
    Sie stand auf und ging wieder hinaus. Während sie fort war, spülte er das Geschirr. Schließlich kam sie mit einem Paar braunen Hosen, Hosenträgern, einem karierten Hemd und einem Unterhemd zurück. Sie führte ihn in ein Schlafzimmer, das direkt neben der Küche lag, und ließ ihn dort allein, um sich umzuziehen. Das Hemd – es war etwas zu weit – verströmte einen schwachen männlichen Geruch, der nicht unangenehm war. Außerdem roch es nach Pfeifentabak; Killian hatte auf dem Sims über dem Kamin eine Maiskolbenpfeife gesehen.
    Als er wieder in die Küche kam, hatte er seine schmutzigen, zerfetzten Kleider unter dem Arm. Nach langer Zeit fühlte er sich wieder wie ein normaler Mensch: sauber, frisch und vor allem angenehm satt. Sie saß am Tisch und pellte gerade das schlammbespritzte Sackleinen von einem seiner alten Schuhe.
    »Diese Schuhe haben genug geleistet«, sagte er. »Fast schäme ich mich dafür, wie ich sie behandelt habe.«
    Sie hob den Kopf, musterte ihn. Er hatte die Aufschläge der Hosen ein Stück hochgekrempelt.
    »Ich war mir nicht sicher, ob sie Ihnen passen würden. Ich vermutete, er sei größer gewesen als Sie, aber ich dachte, vielleicht kommt er mir nur in der Erinnerung so groß vor.«
    »Nun, er war wirklich so groß, wie Sie ihn in Erinnerung haben.«
    »Er wird immer größer. Je weiter ich mich von ihm entferne.«
    Er konnte ihr für die Kleider und das Essen nichts geben. Sie sagte, bis Northampton seien es drei Meilen, und er solle besser gleich losgehen, denn bis er dort ankäme, hätte er bestimmt wieder Hunger, und im Blessed Heart of the Virgin Mary könnte er eine Schüssel Bohnen mit Brot bekommen. Am Ostufer des Connecticut gäbe es eine Siedlung, aber er solle nicht allzu lange bleiben, denn dort würden regelmäßig Razzien durchgeführt und Männer festgenommen. Dann, an der Tür, sagte sie noch einmal, es sei besser, am Rangierbahnhof von der Polizei erwischt zu werden, als von einem Güterwaggon zu springen, der zu schnell fuhr. Er solle

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