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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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wohl sein wird!«
    »Warte! Wir machen ein Spiel daraus. Das wird spannend!«
    »Jede Wette. Nichts macht mehr Spaß, als den ganzen Vormittag in der Kälte herumzustapfen, um nach Zweigen zu suchen.«
    »Hör zu. Bleib auf dem Waldweg. Dort draußen unter den Bäumen ist nichts wirklich außer dem Pfad. Kinder, die von ihm abkommen, finden nie wieder zurück. Und noch etwas Wichtiges: Niemand darf dich sehen, außer er trägt auch eine Maske. Alle, die eine Maske tragen, verstecken sich genau wie wir vor den Spielzeugleuten.«
    »Wenn es im Wald für Kinder so gefährlich ist, dann sollte ich vielleicht lieber hierbleiben, und du und Dad spielt Holzsammler. Will er eigentlich den ganzen Tag im Schlafzimmer bleiben?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Erwachsene können nicht in den Wald gehen. Nicht einmal der Pfad ist für jemanden in meinem Alter sicher. Ich kann diesen Weg gar nicht sehen. Wenn du einmal so alt bist wie ich, wird er auch für dich verschwunden sein. Ich weiß nur, dass es ihn gibt, weil dein Vater und ich als Teenager auf ihm entlanggegangen sind. Nur wirklich junge Menschen können sich zwischen all den Wundern und Illusionen der tiefen, dunklen Wälder zurechtfinden.«
    Draußen war es unter dem taubengrauen Himmel trist und kalt. Ich ging um das Haus herum, um nachzuschauen, ob dahinter vielleicht Holz gestapelt war. Als ich am Schlafzimmer meiner Eltern vorbeikam, klopfte mein Vater gegen die Scheibe. Ich trat zum Fenster, um zu sehen, was er wollte, und erschrak zunächst über mein eigenes Spiegelbild, das sich über sein Gesicht gelegt hatte. Ich hatte vergessen, dass ich noch immer die Maske aus Seidenblättern trug.
    Er schob die obere Hälfte des Fensters ein Stück nach unten und lehnte sich hinaus. Seine Wangen wurden von seiner Maske zusammengedrückt, seine winterblauen Augen sahen mich ausdruckslos an. »Wohin gehst du?«
    »In den Wald, so wie’s aussieht. Mom will, dass ich Holz fürs Feuer sammle.«
    Er ließ die Arme aus dem Fenster baumeln und starrte auf die Wiese. Einige rostfarbene Blätter tanzten auf dem Rasen, und er folgte ihnen mit den Augen. »Das würde ich auch gern.«
    »Dann komm doch mit.«
    Er sah mich an und lächelte, zum ersten Mal an diesem Tag. »Nein. Nein, nicht jetzt. Ich sag dir was. Geh schon mal vor, vielleicht komm ich in einer Weile nach.«
    »Alles klar.«
    »Ist schon seltsam. Wenn man wieder von hier wegfährt, vergisst man sofort, wie klar hier alles ist – wie die Luft riecht.« Einen Moment lang betrachtete er noch die Wiese und den See, dann sah er mir in die Augen. »Man vergisst auch andere Dinge. Jack, pass auf. Ich möchte nicht, dass du vergisst …«
    Hinter ihm ging die Tür auf, und mein Vater verstummte. Meine Mutter kam herein. Sie trug jetzt Jeans und einen Pulli und nestelte an der breiten Gürtelschnalle.
    »Über was redet ihr da, Jungs?«
    Mein Vater wandte sich nicht zu ihr um, sondern schaute mir weiter in die Augen, und unter seinem neuen Gesicht aus geschmolzenem Kristall glaubte ich einen Anflug von Verdrossenheit erkannt zu haben, so als wäre er bei etwas ertappt worden, was ihm irgendwie peinlich war. Als hätte er beim Patiencelegen geschummelt. Mir fiel wieder ein, wie sie ihm gestern Abend mit dem Finger über die Lippen gefahren war, um den imaginären Reißverschluss zuzuziehen. Mir wurde ganz schummrig, und auf einmal hatte ich den Eindruck, ich würde sie bei einem schmutzigen Spiel beobachten, von dem ich lieber möglichst wenig mitbekommen wollte.
    »Nichts«, sagte ich. »Ich habe Dad nur erzählt, dass ich spazieren gehe. Und das mache ich jetzt auch.« Während ich sprach, entfernte ich mich rückwärts vom Fenster.
    Meine Mutter hüstelte. Mein Vater schob langsam das Fenster zu, den Blick noch immer fest auf mich gerichtet. Er drehte den Riegel und presste dann die Handfläche gegen die Scheibe, als würde er Lebewohl sagen. Nachdem er die Hand gesenkt hatte, blieb ein durchsichtiger Abdruck davon zurück, eine Gespensterhand, die immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand. Mein Vater ließ die Jalousien herunter.
     
    Kaum hatte ich mich auf den Weg gemacht, dachte ich schon nicht mehr ans Holzsammeln. Inzwischen war ich zu der Erkenntnis gelangt, dass mich meine Eltern sowieso nur aus dem Haus haben wollten, damit sie für sich waren. Bei diesem Gedanken bekam ich schlechte Laune. Bevor ich den Waldweg betrat, hängte ich meine Maske aus Seidenblättern an einen Ast.
    Mit gesenktem Kopf ging ich

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