Black Box
sechzehn vielleicht, und ich hatte den Eindruck, dass sie hübsch war. Ganz sicher konnte ich mir da allerdings nicht sein, weil sie eine schwarze, mit Pailletten besetzte Maske trug, von der auf einer Seite ein Fächer aus Straußenfedern abstand. Direkt hinter ihr, noch weiter im Dunkeln, stand ein Junge, dessen obere Gesichtshälfte hinter einer glatten, milchfarbenen Kunststoffmaske verborgen war.
»Ich suche den Weg zurück«, sagte ich.
»Zurück wohin?«, fragte das Mädchen.
Der Junge, der hinter ihr kniete, betrachtete in aller Seelenruhe ihren hochgereckten Hintern in den ausgeblichenen Jeans. Sie wackelte leicht mit den Hüften hin und her – vielleicht mit Absicht, vielleicht auch nicht.
»Meine Familie hat hier in der Nähe ein Sommerhaus. Ich hab mich gefragt, ob einer der beiden Pfade vielleicht dorthin führt.«
»Du könntest doch den Weg zurückgehen, den du gekommen bist«, schlug sie in leicht spöttischem Tonfall vor, als wüsste sie bereits, dass ich davor Angst hatte.
»Lieber nicht«, sagte ich.
»Warum bist du überhaupt hierhergekommen?«, wollte der Junge wissen.
»Meine Mutter hat mich losgeschickt, um Brennholz zu sammeln.«
Er schnaubte verächtlich. »Klingt wie der Anfang eines Märchens.« Das Mädchen warf ihm einen missbilligenden Blick zu, aber er schenkte ihr keine Beachtung. »Eines, das schlecht ausgeht. Deine Eltern haben nichts mehr zu essen für dich, also schicken sie dich los, damit du dich im Wald verirrst. Schließlich wird jemand von der Hexe zum Abendessen verspeist. Frisch aus dem Backofen. Pass bloß auf, dass es nicht dich erwischt.«
»Möchtest du mit uns Karten spielen?«, fragte das Mädchen und hielt ein Kartenspiel hoch.
»Ich will nur nach Hause. Ich möchte nicht, dass meine Eltern sich Sorgen machen.«
»Komm, setz dich zu uns«, sagte sie. »Wir spielen eine Runde. Der Gewinner darf jedem der Verlierer eine Frage stellen, und die müssen dann unbedingt die Wahrheit sagen. Wenn du mich schlägst, kannst du mich fragen, wie du nach Hause kommst, ohne dem Jungen auf dem alten Fahrrad zu begegnen, und ich muss dir antworten.«
Also hatte sie ihn auch gesehen und sich den Rest irgendwie zusammengereimt. Sie wirkte ziemlich selbstgefällig, so als würde es ihr Spaß machen, mir zu zeigen, wie einfach es doch war, mich zu durchschauen. Ich überlegte kurz und nickte dann.
»Was spielt ihr denn?«
»So etwas Ähnliches wie Poker. Es heißt ›Kalte Hände‹, weil es das einzige Kartenspiel ist, dass man spielen kann, wenn es so kalt ist wie jetzt.«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Bei dem Spiel erfindet sie die Regeln die ganze Zeit neu.« Seine Stimme hatte einen erwachsenen Unterton und kam mir irgendwie bekannt vor.
Ich stieg über den Baumstamm. Das Mädchen rutschte auf den Knien in den dunklen Raum unter dem Sperrholzdach zurück, um mir Platz zu machen. Dabei redete sie ununterbrochen und mischte die abgegriffenen Karten.
»Es ist nicht schwer. Ich gebe fünf Karten an jeden Spieler aus, und zwar mit der Bildseite nach oben. Wenn ich fertig bin, gewinnt derjenige, der das beste Pokerblatt hat. Das klingt vielleicht zu einfach, aber es gibt eine ganz Reihe lustiger Zusatzregeln. Wenn du während des Spiels lächelst, darf der Spieler links von dir eine seiner Karten gegen eine von deinen austauschen. Wenn es dir gelingt, mit deinen ersten drei Karten ein Haus zu bauen, und wenn die anderen Spieler es nicht umpusten können, dann darfst du alle Karten durchsehen und dir deine vierte Karte selbst aussuchen. Wenn du eine ›Schwarze Schande‹ ziehst, werfen die anderen Spieler so lange Steine nach dir, bis du tot bist. Wenn du irgendwelche Fragen hast, behalt sie für dich. Nur der Gewinner darf Fragen stellen. Jeder, der während des Spiels Fragen stellt, hat sofort verloren. Alles klar? Dann los.«
Meine erste Karte war ein »Fauler Bube«. Das wusste ich nur deswegen, weil es am unteren Rand stand und weil sich auf dem Bild ein blonder Bube auf Seidenkissen fläzte, während ein Haremsmädchen ihm die Zehennägel feilte. Erst als das Mädchen mir meine zweite Karte gab – die Ring Drei –, fiel mir wieder ein, was sie über die »Schwarze Schande« gesagt hatte.
»Entschuldige«, sagte ich. »Aber was …«
Sie zog eine Augenbraue hoch und sah mich ernst an.
»Vergiss es«, sagte ich.
Der Junge räusperte sich, und das Mädchen rief: »Er hat gelächelt! Jetzt darfst du eine von deinen Karten gegen eine von seinen
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