Black Box
riesigen Vorderrad und einem Hinterrad, das viel zu klein aussah. Das Vorderrad drehte sich unentwegt, pling-pling-pling. Ein Junge kam über den Rasen darauf zugerannt. Er war pummelig, hatte helles Haar und trug ein weißes Nachthemd. Als ich ihn sah, wurde ich von Entsetzen erfüllt. Er packte den Lenker des Rades und neigte den Kopf zur Seite, als hätte er etwas gehört. Mit einem Wimmern schreckte ich vom Fenster zurück. Er wandte sich um und starrte mich mit Silberaugen und Silberzähnen an. Auf seinen fetten Wangen zeichneten sich Grübchen ab. In diesem Moment wachte ich in meinem nach Mottenkugeln riechenden Bett wieder auf und stieß verzweifelte, angsterfüllte Laute aus.
Als endlich der Morgen kam und ich mich zum letzten Mal aus dem Schlaf quälte, lag ich im Elternschlafzimmer unter einem ganzen Stapel Decken. Die Sonne schien mir ins Gesicht, und auf dem Kissen neben mir war noch der Kopfabdruck meiner Mutter zu sehen. Ich war froh, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte, wie ich in der Finsternis hierhergestolpert war. Mit dreizehn war ich zwar noch ein kleiner Junge, aber ich hatte auch meinen Stolz.
Ich lag da wie ein Salamander auf einem Fels – ganz benommen vom Sonnenlicht und wach, ohne wirklich bei Bewusstsein zu sein –, bis ich hörte, wie am anderen Ende des Zimmers ein Reißverschluss aufgezogen wurde. Ich schaute hoch und entdeckte meinen Vater. Er hatte den Koffer auf die Kommode gelegt und klappte ihn gerade auf. Das leise Rascheln der Decken ließ ihn aufhorchen, und er wandte sich zu mir um.
Er war nackt. Die Morgensonne tauchte die Haut seines gedrungenen Körpers in ein bronzefarbenes Licht. Er hatte die durchsichtige Plastikmaske aufgesetzt, die am Abend zuvor noch im Wohnzimmer am Fenster gehangen hatte. Sie drückte seine Gesichtszüge so platt, dass sie kaum noch wiederzuerkennen waren. Er starrte mich so verständnislos an, als würde er mich überhaupt nicht kennen oder hätte gar nicht gewusst, dass ich dort im Bett lag. Sein langer, dicker Penis ruhte auf einem Kissen kupferroter Haare. Ich hatte ihn schon oft nackt gesehen, aber mit der Maske war das etwas anderes. Seine Nacktheit war beunruhigend. Er sah mich an, ohne ein Wort zu sagen – und auch das war beunruhigend.
Ich öffnete den Mund, um »Hallo« und »Guten Morgen« zu sagen, aber ich brachte nur ein Keuchen zustande. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass ich ihn buchstäblich nicht kannte. Ich konnte seinem starren Blick nicht standhalten, schaute weg, schlüpfte dann unter den Decken hervor und lief in den großen Raum, wobei ich mich zwingen musste, nicht loszurennen.
In der Küche klapperte ein Topf. Wasser zischte aus dem Hahn. Ich folgte den Geräuschen. Meine Mutter stand am Spülbecken und füllte einen Teekessel. Sie hörte meine Schritte und warf mir über die Schulter einen Blick zu. Als ich sie sah, blieb ich wie angewurzelt stehen. Sie hatte eine schwarze Katzenmaske mit glänzenden Schnurrhaaren auf, die mit Flusskieseln eingefasst war. Im Unterschied zu meinem Vater war sie nicht nackt, sondern trug ein MILLER-LITE-T-Shirt, das ihr bis über die Hüften reichte. Die Beine waren jedoch nackt, und als sie sich über das Spülbecken beugte, um das Wasser abzudrehen, erhaschte ich einen Blick auf ihr schwarzes Höschen. Ich war einigermaßen beruhigt, dass sie mir zulächelte und mich nicht so anstarrte, als wären wir uns noch nie begegnet.
»Im Ofen sind Eierpfannkuchen«, sagte sie.
»Warum tragen Dad und du Masken?«
»Es ist doch Halloween, oder?«
»Nein«, sagte ich. »Erst nächsten Donnerstag oder so.«
»Ist es denn verboten, damit schon früher anzufangen?« Sie hielt inne, einen Backofenhandschuh in der Hand, und warf mir einen verschmitzten Blick zu. »Jetzt, wo du fragst …«
»Achtung, Achtung. Hier setzt ein Lastwagen zurück! Jetzt hebt sich langsam die Ladefläche, und jeden Augenblick kann der ganze Mist herunterrutschen!«
»Hier ist immer Halloween. Nicht umsonst heißt es das ›Haus der Masken‹. So nennen wir es heimlich. In diesem Haus war das schon immer eines der ungeschriebenen Gesetze: Solange du hier bist, musst du eine Maske tragen.«
»Ich kann bis Halloween warten.«
Sie holte eine Pfanne aus dem Ofen, tat mir ein Stück Eierpfannkuchen auf und schenkte mir eine Tasse Tee ein. Dann setzte sie sich mir gegenüber und sah mir beim Essen zu.
»Du musst eine Maske tragen. Die Spielkartenleute haben dich gestern Abend gesehen. Sie werden
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