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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Sie hingen an Türgriffen und Stuhllehnen. Eine große blutrote Maske starrte wütend von der Kamineinfassung auf uns herab, ein unwirklicher Dämon aus lackiertem Pappmaschee mit einem gekrümmten Schnabel und Federn um die Augen – genau die richtige Verkleidung, wenn man bei einem Edgar-Allan-Poe-Festival die Rolle des Roten Todes spielen wollte.
    Die verstörendste Maske hing an einem der Fensterriegel. Sie war aus durchsichtigen Kunststoff und sah aus wie das Gesicht eines Mannes, das aus einer unglaublich dünnen Eisschicht geformt war. Wie sie dort vor der Scheibe baumelte, war sie nur schwer zu erkennen, und ich musste unwillkürlich zusammenzucken, als ich sie das erste Mal aus den Augenwinkeln bemerkte. Einen Moment lang dachte ich, dass sich dort ein Mensch befand – ein Mann, der auf der Veranda schwebte und mich anglotzte.
    Die Eingangstür flog mit einem Knall auf, und mein Vater kam mit dem Gepäck hereingestolpert. Im selben Augenblick fing meine Mutter, die hinter mir stand, zu sprechen an.
    »Als wir noch jung, fast noch Kinder waren, haben dein Vater und ich uns immer davongeschlichen und sind hierhergekommen. Warte mal. Ich weiß was. Lass uns ein Spiel spielen. Du hast Zeit, bis wir wieder abfahren, um herauszufinden, in welchem Zimmer du gezeugt worden bist.«
    Hin und wieder versuchte sie mich mit intimen Einzelheiten über sich und meinen Vater aus der Fassung zu bringen. Ich zog die Stirn in Falten und warf ihr einen möglichst verächtlichen Blick zu, aber sie musste schon wieder lachen – es war uns beiden gelungen, unsere Rollen perfekt zu spielen.
    »Warum sind vor den ganzen Spiegeln eigentlich Vorhänge?«
    »Keine Ahnung«, sagte sie. »Vielleicht hat sie derjenige, der zuletzt hier war, aus Respekt vor deinem Großvater aufgehängt. Es ist eine jüdische Tradition, die Spiegel zu verhängen, wenn jemand gestorben ist, um vor der Eitelkeit zu warnen.«
    »Aber wir sind doch gar keine Juden.«
    »Trotzdem ist das eine gute Tradition. Wir alle sollten weniger an uns selbst denken.«
    »Und was soll das mit den ganzen Masken?«
    »Es sollte an jedem Ferienort solche Masken geben. Falls man Lust hat, sich mal von seinem Gesicht zu erholen. Ich bin es schrecklich leid, tagaus, tagein immer dieselbe zu sein. Was hältst du von der dort – gefällt sie dir?«
    Ich strich gerade gedankenverloren über die glasartige Maske mit dem ausdruckslosen Gesicht, die am Fenster hing. Als sie mich darauf aufmerksam machte, was ich gerade tat, zog ich sofort die Hand zurück. Ein Frösteln lief mir über die Unterarme.
    »Setz sie doch mal auf«, sagte sie mit aufgeregter Stimme, »damit du weißt, wie du damit aussiehst.«
    »Sie ist furchtbar«, sagte ich.
    »Ist es okay, wenn du allein in deinem Zimmer schläfst? Du könntest auch bei uns im Bett schlafen. So wie letztes Mal. Aber da warst du natürlich noch viel jünger.«
    »Nee, geht schon. Ich möchte ungern stören, wenn euch danach ist, noch jemanden zu zeugen.«
    »Pass auf, was du dir wünschst«, sagte sie. »Manchmal wiederholt sich die Geschichte.«
     
    Die einzigen Möbelstücke in meinem kleinen Zimmer waren ein Feldbett, das mit einem nach Mottenkugeln riechenden Laken bezogen, und ein Schrank mit einem Spiegel, der mit Vorhängen abgedeckt war. An der Vorhangstange hing eine Halbmaske aus grünen, miteinander vernähten Seidenblättern, die mit smaragdgrünen Pailletten verziert waren. Sie gefiel mir – bis zu dem Moment, als ich das Licht ausmachte. Im Dunkeln sahen die Blätter wie die hornartigen Schuppen einer Menschenechse aus, mit riesigen schwarzen Höhlen statt Augen. Ich schaltete das Licht wieder an, stand auf und drehte die Maske mit dem Gesicht zur Wand.
    Direkt am Haus standen Bäume, und manchmal schlug ein Ast mit einem knackenden Geräusch gegen die Hauswand, ein Geräusch, bei dem ich jedes Mal wach wurde und das Gefühl hatte, es wäre jemand an der Zimmertür. Der Wind wurde immer stärker, bis ein schrilles Heulen um das Haus toste und von irgendwo draußen ein fortgesetztes metallisches Pling-Pling-Pling ertönte, so als ob sich ein Rad im Sturm drehen würde. Ich ging ans Fenster, rechnete allerdings nicht damit, dass ich etwas sehen würde. Der Mond stand am Himmel, und während die Bäume sich im Wind krümmten, zuckte der Mondschein durch das Gras und die Finsternis wie Schwärme kleiner, im Dunkeln der Tiefsee leuchtender silberner Fische.
    An einem der Bäume lehnte ein Fahrrad, ein uraltes Teil mit einem

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