Black Box
bald auftauchen. Du musst eine Maske tragen, damit sie dich nicht erkennen.«
»Warum sollten sie mich nicht erkennen? Ich erkenne dich doch auch.«
»Das glaubst du«, sagte sie, und ihre langen Wimpern zuckten belustigt. »Die Spielkartenleute erkennen einen nicht, wenn man eine Maske trägt. Das ist ihr wunder Punkt. Sie nehmen alles für bare Münze und denken ziemlich eindimensional.«
»Ha, ha. Wann kommt eigentlich der Gutachter?«
»Irgendwann. Später. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nicht einmal, ob es einen Gutachter gibt. Vielleicht habe ich mir das nur ausgedacht.«
»Ich bin erst seit zwanzig Minuten wach und langweile mich schon. Hättet ihr nicht einen Babysitter für mich organisieren können, um dann zum Maskentragen und Kindermachen allein hier raufzufahren?« Kaum dass ich das gesagt hatte, spürte ich, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Aber es freute mich, dass ich in der Lage war, sie wegen ihrer Masken, ihrer schwarzen Unterwäsche und wegen des komischen Spiels zu ärgern, das sie da miteinander trieben und von dem sie glaubten, ich sei noch zu jung, um es zu verstehen.
»Ich hab dich lieber dabei. Dann fängst du nämlich keinen Unsinn mit diesem Mädchen an.«
Meine Wangen wurden so heiß wie glühende Kohlen. »Was für ein Mädchen?«
»Welches weiß ich nicht genau. Entweder Jane Redhill oder ihre Freundin. Wahrscheinlich ihre Freundin. Wegen der du immer zu Luke rübergehst.«
Luke war derjenige, der auf die Freundin seiner Schwester stand – Melinda. Mir war Jane lieber. Trotzdem, meine Mutter wusste so gut Bescheid, dass mir ganz anders wurde. Bei meinem Schweigen wurde ihr Lächeln noch breiter.
»Ziemlich süß, die Kleine, was? Janes Freundin. Beide, vermutlich. Die Freundin scheint mir allerdings mehr dein Typ zu sein. Wie heißt sie noch? Melinda? Diese weiten Latzhosen, in denen sie rumläuft … Ich möchte wetten, dass sie zusammen mit ihrem Vater ein Baumhaus gebaut hat, und da sitzt sie dann nachmittags und liest. Wahrscheinlich sucht sie sich ihre Würmer zum Angeln selbst und spielt Fußball mit den Jungs.«
»Luke ist scharf auf sie.«
»Also ist es Jane.«
»Wer hat gesagt, dass es eine von denen sein muss?«
»Es muss einen Grund geben, warum du mit Luke herumhängst. Von Luke einmal abgesehen.« Sie hielt einen Moment inne. »Jane ist vor ein paar Tagen vorbeigekommen, um Zeitschriftenabos zu verkaufen, irgendwas zugunsten ihrer Kirche. Sie scheint mir ein nettes Mädchen zu sein. Sehr um ihre Nächsten besorgt. Wenn sie doch nur etwas mehr Sinn für Humor hätte! Sobald du etwas älter bist, solltest du Luke eins überziehen und ihn danach in den alten Steinbruch werfen. Dann wird dir diese Melinda in die Arme fallen wie eine reife Pflaume. Ihr könnt dann zusammen um ihn trauern. Das kann sehr romantisch sein.« Sie nahm meinen leeren Teller und stand auf. »Such dir eine Maske aus. Spiel mit.«
Sie stellte meinen Teller in die Spüle und ging hinaus. Ich trank noch schnell ein Glas Saft und schlenderte dann hinter ihr her ins große Zimmer. Während sie die Tür hinter sich schloss, warf ich einen kurzen Blick in das elterliche Schlafzimmer. Der Mann, den ich für meinen Vater hielt, trug noch immer diese entstellende Maske, aber inzwischen hatte er sich ein Paar Jeans übergezogen. Unsere Blicke trafen sich kurz, aber er sah mich immer noch so unbewegt an, als würde er mich nicht kennen. Dann legte er meiner Mutter besitzergreifend die Hand um die Hüfte. Die Tür schloss sich, und sie waren aus meinem Blickfeld verschwunden.
In meinem Zimmer setzte ich mich auf die Bettkante und schlüpfte in meine Turnschuhe. Der Wind heulte unter dem Dachvorsprung. Ich fühlte mich niedergeschlagen und neben der Spur, ich wollte nach Hause und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Als ich aufstand, fiel mein Blick auf die grüne Maske aus Seidenblättern. Ich schaute mich kurz um und nahm sie dann herunter. Wie ich sie so zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, spürte ich, wie weich und glatt sie war. Fast unwillkürlich zog ich sie auf.
Meine Mutter war im Wohnzimmer, offenbar frisch geduscht.
»Da bist du ja«, sagte sie. »Sehr dionysisch. Wie Pan. Hol dir doch ein Handtuch. Das könntest du wie eine Toga tragen.«
»Super Idee. Soll ich eine Lungenentzündung kriegen?«
»Hier drin zieht es ziemlich, was? Wir sollten Feuer machen. Einer muss in den Wald gehen, um trockenes Holz zu sammeln.«
»Mann, da bin ich aber gespannt, wer das
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