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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Dank, dass Sie mich mitnehmen. Und Ihnen auch.« Der Reisende wischte sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht.
    Jubal legte den Gang ein und lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Aus den Augenwinkeln musterte er seinen Fahrgast. Der Mann vom Straßenrand hatte einen dichten schwarzen Bart, der ganz verfilzt und nass war. Er war groß und hager – seine Knie stießen gegen das Armaturenbrett –, aber er besaß breite Schultern und wirkte durchtrainiert. Wie Jubal war auch er ganz in Jeans gekleidet: eine vom Schnee durchnässte Levis, eine abgetragene und schmutzige Jeansjacke und darunter ein blaues Arbeitshemd.
    Jubal stellte sich vor und reichte dem Mann die rechte Hand. Der Reisende nahm sie und hielt sie lange umklammert. Er packte so fest zu, dass es wehtat. Sein Blick ruhte auf Jubal, und seine Augen leuchteten in der frühen Dämmerung des Novembers. »Ich bin dort draußen herumgeirrt und habe gebetet, Jubal Scott. Ich habe gebetet, dass Sie hier vorbeikommen. Es hat geschneit, und der Wind hat geheult, und ich habe gebetet, dass jemand kommt und mich rettet.«
    Erst als er mit seiner Rede fertig war, ließ er Jubals schmerzende Hand los.
    »Soweit ich weiß, hat noch nie jemand gebetet, dass ich kommen soll«, sagte Jubal.
    »Man weiß nie, wann der Herr eines bedarf. Man weiß nicht wann und nicht wo.«
    »Ja, da haben Sie wohl recht.«
    Dann schwiegen sie eine ganze Weile. Schließlich fiel Jubal ein, dass der Reisende seinen Namen nicht genannt hatte.
    »Wie weit soll ich Sie denn mitnehmen?«, fragte er. »Haben Sie ein bestimmtes Ziel?«
    »Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin ich unterwegs bin, weil ich es selbst nicht weiß. Mein Ziel ist dort, wohin der Herr mich führt.«
    »Na dann. Klingt gut.«
    Ihr Atem hatte sich auf der Windschutzscheibe niedergeschlagen und war dort festgefroren. Er bildete hübsche silber- und chromfarbene Muster. Jubal streckte eine Hand aus und kratzte mit den Fingernägeln daran.
    »Diese Kälte ist unglaublich«, sagte er. »Vor zwei Tagen haben wir uns noch über den Altweibersommer gefreut. Ich hoffe, Sie waren nicht allzu lange da draußen.«
    »Es war entsetzlich kalt, aber ich war nicht allein.«
    »Ach ja? Hat Jesus Sie begleitet?«
    »Er hat mir seine Jacke gegeben«, sagte der Reisende. »Ich war in Not, und Er hat mir geholfen.«
    »Wusste gar nicht, dass Jesus auf Jeans steht.«
    »Sie sollten sich nicht über etwas lustig machen, das Sie nicht verstehen, Mr. Jubal Scott. Er hat für Sie geblutet. Er hat geblutet, als ich ihn zurückgelassen habe. Auf der Jacke ist Sein Blut.« Er hob den linken Arm, und Jubal konnte sehen, dass der Ärmel von der Manschette bis zum Ellbogen mit rostfarbenem Blut bedeckt war.
    Wieder herrschte Schweigen zwischen ihnen. Jubal saß über das Steuer gebeugt da, die Rückenmuskeln völlig verspannt. Ein Halbtonner kam ihnen über einen Hügel entgegen und donnerte an ihnen vorbei. Seine Scheinwerfer erleuchteten für einen Moment das Führerhaus. Jubal blickte kurz zu seinem Fahrgast hinüber und bemerkte, dass die Vorderseite seiner Jacke mit Blut vollgesogen und völlig steif war. Als der Fremde aus der Finsternis zu ihm in den Laster geklettert war, war ihm das nicht aufgefallen. Das rechte Auge des Reisenden zierte ein hässlicher blauroter Halbmond, und das Augenlid war angeschwollen. Auf der Unterlippe glänzte Blut. Wirklich erschreckend war jedoch, dass er sich Jubal zugewandt hatte und ihn anstarrte, so dass Jubal geradewegs in das mit blauen Flecken übersäte Gesicht blicken konnte. Der Mann lächelte und wirkte dabei irgendwie selbstzufrieden. Dann war der Truck an ihnen vorbei, und im Führerhaus wurde es wieder dunkel.
    Jubal war zutiefst erschüttert. Erst brachte er kein Wort heraus, aber dann wurde die Stille bedrohlich.
    »Sieht so aus, als hätte Er ziemlich viel Blut verloren«, sagte er. »Hat Er Ihnen die Jacke freiwillig gegeben, oder ist es dabei zu einer kleinen Rangelei gekommen?«
    »Es waren Wunden der Liebe.«
    »Und was ist mir Ihrem Gesicht?«, fragte Jubal und schluckte trocken. »Sind das auch Wunden der Liebe, oder war’s doch altmodischer Hass?«
    »Ich hab mich im Schnee verlaufen und bin gestürzt.«
    Wie werd ich den nur wieder los?, dachte Jubal. Aber er bremste nicht und machte auch keine Anstalten, an den Straßenrand zu fahren. Der Reisende hatte die Arme verschränkt und wärmte sich die Hände unter den Achseln. Jubal spürte seinen Blick auf sich ruhen. Er musste

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