Black Box
runterfuhr. Fast den ganzen Nachmittag über durchquerten sie das weiße Land. Jubal sah sanft ansteigende, schneebedeckte Hügel, die unter dem bitterkalten Himmel schimmerten. Er sah Fichten, die unter dem Gewicht der Schneeberge auf ihren Ästen ächzten. Vom Lieferwagen war nichts zu sehen.
»Sind Sie sich sicher, dass Sie auf dem Roosevelt waren?«, fragte der Farmer. »Ich kenne eine ganze Menge anderer Straßen, die nach Conway führen.«
Der Farmer fuhr mit Jubal durch die Gegend, bis der Abend dämmerte. Jubal hinterließ eine Beschreibung seines Lieferwagens in Dorfläden, Lokalen und beim Sheriff von Oxford County. Er ließ alle wissen, wo man ihn in Massachusetts erreichen konnte, und viele versicherten ihm, dass der Wagen schon wieder auftauchen werde, irgendjemand werde ihn in nicht allzu ferner Zeit auf seinem Feld entdecken. Jubal hörte von niemandem. Am Sonntag schneite es wieder, was seine Chancen, den Wagen zu finden, nicht gerade verbesserte. Er machte sich Sorgen, dass er nicht nur seinen Wagen, sondern auch seine Arbeit verlieren würde, wenn er zu spät nach Hause kam. An diesem Tag legte er die einhundertundfünfzig Meilen bis nach Summerland per Anhalter zurück.
John Tierney, der WPA-Vorarbeiter, lud ihn an Thanksgiving zu sich nach Hause ein. Er war verheiratet und hatte drei kleine Töchter. Vielleicht tat es ihm leid, dass Jubal oben in Maine einen Unfall gehabt hatte. Dabei gehörte ihm der Lieferwagen doch erst seit ein paar Monaten! Jubal hatte allen erzählt, dass er den Wagen bei einem Unfall verloren hätte. Man konnte den Leuten schlecht sagen, er sei einfach verschwunden; der Winter habe sich seiner bemächtigt.
Nach dem Abend mit den drei kleinen Mädchen, die bei Tisch sangen und tanzten, dachte Jubal, dass Kelly ihm vielleicht in seinen Träumen erscheinen würde, und er wurde nicht enttäuscht. Er saß wieder in seinem Lieferwagen, und Kelly kauerte in dem Schneeengel, den sie gemacht hatte. Er kurbelte das Fenster herunter, aber sie hatte Angst vor ihm und sagte, sie würde ihre Mutter holen. Sie stand auf und rannte weg, nur dass es dieses Mal kein Haus gab, zu dem sie hätte rennen können. Es gab nichts außer weiten, sanften Hügeln und der Nacht. Er wendete den International und fuhr ihr langsam hinterher. Der Lieferwagen pflügte sich durch den Schnee, und im Licht der Scheinwerfer stoben immer wieder weiße Flocken wie Schaumkronen vor einem Boot zur Seite. Er folgte den Spuren von Kellys Stiefeln im Schnee, aber er konnte sie nirgends entdecken, als ob sie sich völlig mühelos durch das Schneetreiben bewegte. Manchmal kam er an Schneeengeln von der Größe seiner Tochter vorbei, doch keine Spuren führten zu ihnen hin. Sie schienen sich selbst gemacht zu haben.
Der Lieferwagen heulte auf und arbeitete sich durch den Pulverschnee. Schließlich verschwanden sogar Kellys Stiefelabdrücke, und nur das weiße Land und das Pfeifen des Schnees, der vom Wind über die schimmernden Oberfläche geweht wurde, blieben zurück. Ohne nachzudenken, fuhr er weiter, getrieben von seiner Verzweiflung, doch ohne Hoffnung, sie jemals wiederzusehen, allein im Schnee und unter den Tannen – allein bis auf die kalten und gesichtslosen Engel.
Black Box
Ich weiß nicht, für wen ich das schreibe; keine Ahnung, wer das lesen soll. Die Polizei jedenfalls nicht. Ich weiß nicht, was mit meinem Bruder passiert ist, und ich kann ihnen auch nicht verraten, wo er steckt. Nichts, was ich hier aufschreiben könnte, wird ihnen dabei helfen, ihn zu finden.
Außerdem geht es mir hier so oder so nicht darum, dass er verschwunden ist … auch wenn ich von einem Vermissten erzähle, und es wäre gelogen, wenn ich behaupte, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun. Was ich über Edward Prior weiß, habe ich noch nie jemandem erzählt. Edward Prior, der an einem Oktobertag im Jahre 1977 von der Schule nach Hause gehen wollte, aber nie dort angekommen ist, um mit seiner Mom Chili und Backkartoffeln zu essen. Lange Zeit habe ich mir die größte Mühe gegeben, nicht über meinen Freund Eddy nachzudenken, mindestens ein, zwei Jahre lang, nachdem er verschwunden war. Ich habe alles getan, um nicht an ihn denken zu müssen. Wenn ich in der Highschool auf dem Flur an irgendwelchen Leuten vorbeikam, die über ihn redeten – ich hab gehört, dass er seiner Mutter Gras und Geld geklaut haben soll, und dann ist er ausgerechnet nach Kalifornien abgehauen –, richtete ich meinen Blick auf einen Punkt in
Weitere Kostenlose Bücher