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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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verschränkte die Arme und kam über den Rasen auf ihn zu.
    Jubal blieb mit den Händen auf dem Schoß sitzen und sah zu, wie sie mit gesenktem Kopf zu ihm herübereilte.
    »Was machst du hier, Jubal?«, fragte Linda. Sie hatte nur ein dünnes Kleid an.
    Der scharfe, vorwurfsvolle Ton, mit dem sie das sagte, schüchterte ihn ein, und er vergaß, was er hatte sagen wollen. »Nun ja, ich bin hergekommen, um Kelly zu besuchen, wie ich versprochen hab …«
    »Verschwinde«, sagte sie. »Bitte geh.«
    Linda hatte ihm die Schulter zugewandt, und im fahlen Licht, das aus den Fenstern des Hauses fiel, konnte er ihr Gesicht erkennen. Es hatte sich verändert, wirkte abgehärmt, und in den Augenwinkeln hatten sich kleine Falten gebildet. Die Augen selbst schienen eine andere Farbe angenommen zu haben – sie waren nicht mehr tiefblau wie in seiner Erinnerung, sondern verblichen, fast weiß.
    »Wie geht es der kleinen Prinzessin?«, fragte er. »Sie ist genauso …«
    »Prinzessin? Prinzessin? «, rief sie, und ihre Stimme wurde schrill. »Komm mir jetzt nicht auf die Tour, Jubal Scott. Ich hab dafür gesorgt, dass sie was anzuziehen und was zu essen hat. Als sie die Röteln hatte, hab ich nächtelang an ihrem Bett gesessen und hab gebetet, dass sie nicht stirbt – da hast du nicht mal gewusst, dass sie krank war. Was hast du denn jemals für sie getan? Du glaubst, du kannst einfach so hier vorbeikommen, nachdem du dich vier Jahre nicht hast blicken lassen, und …«
    »Verdammt noch mal, du bist doch hier ans Ende der Welt gezogen, damit du mich nicht mehr sehen musst – wie soll ich dich denn da ohne Auto und Geld besuchen?« Jubal hörte, wie die Fliegengittertür ins Schloss fiel, blickte an Linda vorbei und sah Tess über den Rasen auf sie zulaufen. Sie hatte sich einen Mantel über das Nachthemd gezogen.
    »Du kannst nicht einfach aus dem Nichts für ein paar Tage hier auftauchen und dann wieder für drei Jahre verschwinden. Ich werd nicht zulassen, dass sie sich einbildet, sie hätte einen Vater«, sagte Linda.
    »Ich bin nicht früher gekommen, weil ich nicht konnte. Wie denn auch? Jetzt hab ich den Wagen. Da kann ich öfter mal kommen.«
    »Was hat der hier verloren?«, rief Tess. Sie blieb drei Schritte von ihm entfernt stehen. Ihre Stimme klang schroff, wie das schnarrende Krächzen einer Krähe. »Linda, schick ihn fort.«
    »Das ist meine Sache, Mutter«, erwiderte Linda. »Geh wieder rein.«
    Tess Hakeswell rührte sich nicht. Sie stand gegen das Licht da, und ihr Gesicht lag im Dunkeln. Das Muttermal um ihre Augen war ein schwarzer Fleck.
    »Hast du ihr deswegen nicht erzählt, dass ich euch besuchen komme? Weil du gedacht hast, ich würd dir was vormachen?«
    »Du hast uns schon hundertmal versprochen, dass du uns besuchen kommst, aber getan hast du es nie.«
    »Ich hab nie gesagt, dass ich euch besuchen komme. Ich hab nur gesagt, dass ich es gern tun würde. Das ist ein Unterschied, Linda. Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied.«
    »Spiel jetzt nicht den Klugscheißer.«
    »Er hat getrunken, Linda«, rief Tess mit zitternder Stimme. »Ich kann’s bis hierher riechen. Schick ihn fort.«
    Jubal blickte an Tess und Linda vorbei und sah Kelly hinter der Fliegengittertür stehen. Sie starrte zu ihnen heraus, hielt sich aber die Fausthandschuhe an die Ohren.
    »Geh, Jubal, geh«, sagte Linda und wandte sich um.
    »Und was soll das heißen, ich hätte nie etwas für sie getan? Was ist mit dem Geld, das ich geschickt hab? Ich hab immer Geld geschickt, wenn ich es mir …«
    Linda fuhr herum, und selbst in dem schlechten Licht konnte er sehen, dass ihr das Blut ins Gesicht geschossen war. Ihr Stimme bebte. »Was? Welches Geld, Jubal? Wann? Fünf Dollar, letzten Oktober, fünf verdammte Dollar – was soll ich damit kaufen? O Gott, Jubal. O Gott. Verschwinde, bevor ich dich umbringe. Ich meine es ernst! Ich werd mich nicht zurückhalten können. Du hast ja keine Ahnung.«
    »Ich hab öfter Geld geschickt, nicht nur die fünf Dollar«, sagte er. Jetzt hatte er wirklich Angst, und er rückte ein Stück vom Wagenfenster weg.
    » Wann? « , brüllte sie. »Außer den fünf Dollar hast du seit Februar nichts mehr geschickt!«
    »Nein«, stammelte er. »Im Sommer hab ich …«
    »Seit Februar! Ich weiß das noch genau, weil du eine Feder in den Umschlag gelegt hast, und das war im Februar. Seither hast du nichts mehr für deine Tochter getan. Mach, dass du wegkommst, Jubal, oder ich …« Sie drehte sich auf dem Absatz

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