Black Box
das. Der perforiert mich von Kopf bis Fuß.
Es war unmöglich, Happy stubenrein zu bekommen. Überall im Wohnzimmer verteilte er seine Haufen, wo sie auf dem moosbraunen Teppich nur schwer zu erkennen waren. Einmal latschte mein Vater barfuß in eine frische Hinterlassenschaft, was ihn ein bisschen aus der Fassung brachte – mit einem Krocketschläger hetzte er Happy durch das gesamte Erdgeschoss, schlug ein Loch in die Wand und zertrümmerte mit einer wilden Rückhand einige Teller auf der Küchentheke. Am nächsten Tag baute er neben dem Haus einen Maschendrahtverschlag. Happy ging rein – und da blieb er dann auch.
Art jedoch war inzwischen so verängstigt, dass es ihm lieber war, wenn ich zu ihm kam. Ich sah das nicht ein. Es war ein langer Fußmarsch von der Schule bis zu ihm, und unser Haus lag gleich um die Ecke.
»Wovor hast du Angst?«, fragte ich ihn. »Happy ist eingesperrt. Glaubst du etwa, dass er rauskriegt, wie man die Tür aufmacht?«
Das glaubte Art zwar nicht, aber er besuchte mich trotzdem nur noch ungern. Und wenn, dann hatte er – um für den Fall der Fälle gewappnet zu sein – immer Fahrradflickzeug dabei.
Als wir erst einmal damit angefangen hatten, uns jeden Tag bei Art zu treffen, fragte ich mich, warum ich überhaupt je gewollt hatte, dass wir zu mir nach Hause gehen. Ich gewöhnte mich an den Fußmarsch, ich absolvierte ihn so oft, dass ich völlig vergaß, wie lang, wie nahezu endlos lang er war. Ja, ich freute mich sogar auf meinen Nachmittagsspaziergang, der mich durch gewundene Vorortstraßen mit Häusern führte, die in den Disneyfarben Zitrone, Mandarine und Aschgrau gestrichen waren. Und während ich den Weg zwischen meinem und Arts Elternhaus zurücklegte, kam es mir vor, als bewegte ich mich durch Zonen immer tiefer werdender Stille, immer solider werdender Ordnung – und im Herzen all dieses Friedens wohnte Art.
Obwohl Art nicht rennen und nicht reden konnte und keinem Gegenstand mit scharfen Kanten zu nahe kommen durfte, wussten wir uns doch zu beschäftigen. Wir sahen fern. Ich war anders als die anderen Kinder, ich wusste nichts über das Fernsehen. Wie gesagt, litt mein Vater an schrecklichen Migräneanfällen. Er bekam eine Berufsunfähigkeitsrente, hielt sich den ganzen Tag im Wohnzimmer auf und belegte den Fernseher mit Beschlag. Bei fünf verschiedenen Soaps war er immer auf dem Laufenden. Ich setzte mich nur selten zu ihm – ich spürte, dass meine Anwesenheit ihn ablenkte, während er sich auf den Bildschirm zu konzentrieren versuchte.
Art hätte sich meiner Programmwahl klaglos anvertraut, doch ich konnte mich nie für etwas entscheiden; ich war das nicht gewohnt. Art war NASA-Fan, also sahen wir uns alles an, was mit dem Weltall zu tun hatte. Wir verpassten keinen einzigen Shuttlestart. Er schrieb:
Ich will Astronaut werden. Mit der Schwerelosigkeit hätte ich kein Problem. Ich bin ja jetzt schon fast schwerelos.
Das war zu der Zeit, als sie gerade die internationale Raumstation ins All schafften. Sie redeten darüber, wie schwer es den Leuten fällt, so lange Zeit im Weltraum zu verbringen: deine Muskeln atrophieren, dein Herz wird drei Nummern kleiner.
Spricht immer mehr dafür, mich ins All zu schießen. Ich habe keine Muskeln, die atrophieren können. Ich habe auch kein Herz, das kleiner werden könnte. Ich bin der ideale Astronaut. Ich gehöre einfach in die Umlaufbahn.
»Ich kenne einen, der könnte dir dabei helfen. Wenn du willst, rufe ich Billy Spears an. Der hat so einen Feuerwerkskörper, den er dir in den Arsch stecken will. Hab selbst gehört, wie er’s rumerzählt hat.«
Art sah mich säuerlich an und kritzelte mir zwei Worte auf einen Zettel.
Aber wir konnten auch nicht immer vor der Glotze liegen. Arts Vater war Klavierlehrer, er gab Kindern Unterricht, und sein Flügel stand wie der Fernseher im Wohnzimmer. Wenn er Stunden gab, mussten wir uns anderweitig beschäftigen. Dann gingen wir in Arts Zimmer und spielten Computerspiele. Nach zwanzig Minuten Row-row-row-your-boat- Geklimpere jedoch, das schrill und falsch durch die Wand drang, blickten wir uns verzweifelt an und verdrückten uns ohne ein weiteres Wort durchs Fenster nach draußen.
Arts Mutter war Cellistin, und der Wunsch seiner Eltern, dass auch er ein Instrument lernte, hatte von Anfang an nichts als Frust und Enttäuschung gebracht.
Ich kann nicht mal Kazoo, schrieb Art mir einmal. Klavier kam nicht infrage – Art hatte keine Finger, nur
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