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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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selbst ausmalen. Jedenfalls, bei jeder sich bietenden Gelegenheit triezte ich Art wegen seiner Mutter, ich konnte nicht anders. Selbst wenn sie nur aufstand und das Zimmer verließ, flüsterte ich Art zu, dass sie für so eine alte Schachtel noch einen ziemlich strammen Hintern hätte, und ich fragte ihn, ob er etwas dagegen hätte, dass ich sie heirate, wenn sein Vater stirbt. Andererseits bekam ich von Art keinen einzigen dummen Spruch über meinen Vater zu hören – wenn er mich ärgern wollte, machte er sich darüber lustig, dass ich mir nach dem Essen die Finger ableckte oder dass ich zwei verschiedene Socken anhatte. Aber das ist auch nicht schwer zu verstehen: Wenn dein bester Freund hässlich ist, ich meine richtig hässlich, entstellt, dann macht man eben keine Witze über zerbrochene Spiegel. Bei einer Freundschaft, besonders bei einer zwischen zwei Jungs, ist es erlaubt, dass man sich in gewissem Umfang Schmerzen zufügt, ja, das ist sogar normal. Aber es dürfen keine ernsthaften Verletzungen entstehen. Es dürfen nie, unter keinen Umständen, Wunden entstehen, aus denen bleibende Narben werden.
     
    Bei Art machten wir normalerweise auch unsere Hausaufgaben. Am frühen Abend gingen wir in sein Zimmer, um zu lernen. Die Klavierstunden seines Vaters waren dann schon vorbei, so dass uns das Geklimper nicht mehr störte. Ich lernte gern in Arts Zimmer, die Stille tat mir gut, und es gefiel mir, in einem Raum zu arbeiten, in dem man von Büchern umgeben war; in Arts Zimmer stand ein Bücherregal neben dem anderen. Ich genoss die Zeit sehr, in der wir zusammen lernten, doch gleichzeitig blieb ich immer auf der Hut. Denn beim gemeinsamen Lernen, von behaglicher Stille umhüllt, war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass Art über das Sterben sprach.
    Wenn wir uns unterhielten, versuchte ich stets die Kontrolle über die Richtung zu behalten, in die sich das Gespräch entwickelte. Aber Art war geschickt, er konnte den Tod in jedes Thema einschleusen.
    »Irgend so ein Araber«, sagte ich einmal, »hat die Zahl Null erfunden. Das ist doch irre, oder? Jemand hat sich die Null ausgedacht. «
     
    Es liegt ja auch nicht auf der Hand – dass nichts etwas sein kann. Dass etwas, das man nicht messen oder sehen kann, trotzdem existiert und eine Bedeutung hat. Ist bei der Seele das Gleiche.
     
    »Richtig oder falsch?«, fragte ich ein andermal, als wir gerade für eine Physikprüfung lernten. »Energie wird nie vernichtet, sie kann nur von einer Form in eine andere verwandelt werden.«
     
    Hoffentlich richtig – das wäre ein gutes Argument dafür, dass man nach dem Tod weiterlebt. Auch wenn man dabei zu etwas transformiert wird, das vollkommen anders ist als das, was man vorher war.
     
    Er sprach viel vom Tod und davon, was wohl danach käme, doch am besten erinnere ich mich an das, was er über den Mars sagte. Wir arbeiteten zusammen an einem Referat, für das Art als Thema den Mars ausgewählt hatte, wobei ihn vor allem interessierte, ob jemals Menschen zum Mars fliegen würden und ob sie versuchen würden, den Planeten zu kolonisieren. Art war hundertprozentig für die Kolonisierung des Mars, er wollte unter Plastikzelten Städte bauen und an den Polen nach Wasser bohren. Und er wollte selbst hinfliegen.
    »Die Vorstellung, die Idee, das ist ja vielleicht ganz lustig«, sagte ich. »Aber es dann tatsächlich zu machen, das ist doch völliger Blödsinn. Staub. Arschkalt. Alles rot. Da wirst du blind von so viel Rot. Wer will denn das schon: aus dieser Welt verschwinden und nie wieder zurückkommen?«
    Art sah mich ziemlich lange an, senkte dann den Kopf und schrieb eine kurze Notiz in Ultramarin.
     
    Aber das muss ich doch sowieso irgendwann mal. Jeder muss das.
     
    Und dann schrieb er:
     
    Jeder macht mal den Astronauten, ob man’s nun will oder nicht. Man lässt alles hinter sich – für eine Welt, von der man nichts weiß. So ist der Deal.
     
    Im Frühling dachte sich Art ein Spiel namens Spy Satellite aus. In der Innenstadt gab es einen Laden, wo man für einen Vierteldollar jede Menge heliumgefüllter Ballons bekam. Ich kaufte eine Handvoll, dann traf ich mich mit Art. Er hatte seine Digitalkamera dabei.
    Kaum hatte ich ihm die Ballons in die Hand gedrückt, da löste er sich auch schon vom Erdboden und schwebte in die Luft. Wenn er mit der erreichten Höhe zufrieden war, ließ er ein paar Ballons los, ließ sich treiben und begann, Fotos zu machen. Und wenn er wieder nach unten wollte, ließ er

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