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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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bis ich Seitenstechen bekam und von Happy nichts mehr zu sehen war – sechs Straßen weit, mindestens. Dann, in irgendeiner Garageneinfahrt, klappte ich zusammen. Das Hosenbein war vom Knie bis zum Knöchel aufgerissen. Aber das war nichts gegen das, was ich sah, als ich Art anblickte. Ich war so außer Atem, dass ich nur ein schwaches entsetztes Quietschen von mir geben konnte – ein Geräusch, wie Art es immer produzierte.
    Sein Körper war nicht mehr marshmallowweiß. Er hatte eine dunklere, goldbraune Färbung angenommen – ein Marshmallow, das leicht getoastet war. Er hatte Luft verloren und war auf etwa die Hälfte seiner normalen Größe geschrumpft. Sein Kinn war auf den Körper gesackt, er konnte den Kopf nicht mehr heben.
    Art war gerade über den Rasen vor dem Haus gegangen, als Happy unter einer Hecke hervorgeschossen kam. Er erkannte sofort, dass er nicht schnell genug war, um vor unserem Familienhund davonzulaufen; der Versuch hätte ihm einen tödlich perforierten Hintern eingebracht. Also sprang er in unseren Kombi und knallte die Tür zu.
    Der Wagen hatte automatische Fensterheber – unmöglich, sie herunterzukurbeln –, und sobald Art eine Tür auch nur einen Spaltbreit öffnete, versuchte Happy seine Schnauze hineinzuquetschen. Draußen hatte es zwanzig Grad, innen mindestens vierzig. Art sah entsetzt, wie sich Happy neben dem Wagen ins Gras legte und wartete.
    Der Vormittag verging. Irgendwo in der Ferne brummten Rasenmäher, und in der Hitze begann Art nach und nach zu verschrumpeln.
     
    Und dann bist du aufgetaucht. Gerade noch rechtzeitig. Du hast mir das Leben gerettet.
     
    Tränen trübten meinen Blick, tropften von meinem Gesicht auf den Zettel. Nein, ich war nicht rechtzeitig aufgetaucht, ganz und gar nicht.
    Art wurde nie wieder der Alte. Wenn seine Eltern ihn aufpumpten und sein Körper prall vor Sauerstoff war, ging es ihm eine Zeit lang gut, aber schließlich wurde er doch wieder schlaff und runzelig. Seine Haut behielt eine ölig gelbe Färbung. Der Arzt warf einen Blick auf ihn und sagte seinen Eltern, sie sollten den Ausflug nach Disney World nicht allzu lange aufschieben.
    Auch ich war nicht mehr der Alte. Ich fühlte mich elend, konnte nicht richtig essen, litt unter plötzlich auftretenden Bauchschmerzen, brütete vor mich hin.
    »Zieh nicht dauernd so ein Gesicht«, sagte mein Vater eines Abends beim Essen. »Das Leben geht weiter. Find dich damit ab.«
    Und wie ich mich abfand. Ich wusste, dass die Tür zu Happys Verschlag nicht von selbst aufgehen konnte. Also durchlöcherte ich mit meinem Klappmesser die Reifen des Kombis und ließ das Messer stecken, damit mein Vater nicht lange herumrätseln musste, wer das getan hatte. Er ließ die Polizei kommen und so tun, als würden sie mich einbuchten. Die Beamten drehten mit mir eine Runde im Streifenwagen und sagten, sie würden mich wieder zu Hause abliefern, »wenn du dich künftig an die Spielregeln hältst«. Am nächsten Tag sperrte ich Happy in den Kombi, und er kackte auf den Fahrersitz. Mein Vater sammelte die Bücher ein, die Art mir empfohlen hatte – Bernard Malamud, Ray Bradbury, Isaac Bashevis Singer – und zündete sie auf dem Barbecue-Grill an.
    »Na, wie fühlst du dich jetzt, du Schlaumeier?«, fragte er, während er die Bücher mit Feuerzeugbenzin bespritzte.
    »Bestens«, erwiderte ich. »Sind alle aus der Bücherei. Auf deinen Ausweis.«
    In diesem Sommer übernachtete ich oft bei Art.
     
    Mach dir keinen Kopf. Niemand hat schuld,
     
    schrieb er.
    »Ach, red keinen Scheiß«, sagte ich, konnte dann aber nicht mehr weitersprechen. Sein bloßer Anblick brachte mich zum Weinen.
     
    Ende August rief mich Art an. Es waren hügelige vier Meilen bis Scarswell Cove, wo er mich treffen wollte, aber da ich ja nun schon seit Monaten nach der Schule zum Haus seiner Eltern marschierte, war ich abgehärtet. Ich hatte, wie es Art mir aufgetragen hatte, jede Menge Ballons dabei.
    Scarswell Cove ist ein geschützter Kieselstrand, an dem sich die Leute mit hohen Gummistiefeln ins flache Wasser stellen und angeln. Außer ein paar alten Fischern und Art, der am leicht abfallenden Strand saß, war niemand da. Sein Körper war schlaff, der nach vorn hängende Kopf wackelte kraftlos auf dem nicht vorhandenen Hals hin und her. Ich setzte mich neben ihn. Etwa eine halbe Meile weit draußen wirbelten dunkelblaue Wellen Schaum auf.
    »Was gibt’s?«, fragte ich.
    Art senkte den Kopf und dachte kurz nach. Dann fing er an zu

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