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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Fleischumhangs hervor, ein feuchter, beigefarbener, geradezu tragisch anmutender Umhang, der mit Pickeln und Leberflecken übersät war. Beim Anblick seiner zerfetzten Haut überlief ihn ein wohliger Schauer, er war froh, sie los zu sein. Er lag auf dem Rücken, und die Glieder seiner Beine, deren Gelenke sich nach hinten beugen ließen, zappelten über seinem Körper hilflos hin und her. Sie waren mit gewölbten Platten gepanzert, die metallisch-grün leuchteten und wie poliertes Chrom glänzten. Im Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel, glitten seltsame Lichtreflexe über ihre Oberflächen. Seine Gliedmaßen endeten in krummen Haken wie aus hartem schwarzen Emaille, die mit Tausenden von winzigen, messerartigen Härchen bedeckt waren.
    Noch war Francis nicht ganz wach. Er fürchtete den Augenblick, in dem er einen klaren Kopf bekam: die Insektengestalt auf einmal verschwunden, alles nichts weiter als ein besonders intensiver Traum, der noch einige Minuten nach seinem Erwachen angedauert hatte. Sollte sich herausstellen, dass all das nur Einbildung war, würde er an der Enttäuschung zerbrechen, er würde es nicht ertragen können. Zumindest würde er heute nicht zur Schule gehen können.
    Doch dann fiel ihm ein, dass er ohnehin die Schule schwänzen wollte. Huey Chester war nämlich der Meinung gewesen, Francis hätte ihm nach dem Sportunterricht in der Umkleidekabine schwule Blicke zugeworfen. Also hatte er mit einem Lacrosse-Schläger einen Scheißhaufen aus der Toilette gefischt und ihn nach Francis geschleudert, um ein für alle Mal klarzustellen, was es für Folgen hat, wenn man einen Kerl so anglotzt, und das alles war so komisch gewesen, dass er beschlossen hatte, daraus eine neue Sportart zu machen. Huey und die anderen Jungs hatten sich dann darüber gestritten, wie sie diese neue Sportart nennen sollten: »Scheißehüpfen« hatte zu den Favoriten gehört, ebenso wie »Scheißweitwurf«. Francis hatte daraufhin entschieden, Huey Chester, dem Sportunterricht und der ganzen Schule für ein, zwei Tage aus dem Weg zu gehen.
    Früher hatte Huey Francis gemocht; vielleicht nicht so wie einen Freund, aber er hatte ihn gerne anderen vorgeführt. Er hatte es toll gefunden, wenn Francis Käfer aß, während andere zusahen. Das war in der vierten Klasse gewesen. Im Sommer davor hatte Francis bei seiner Großtante Reagan in ihrem Wohnwagen in Tuba City gewohnt. Reagan erstickte Grillen in Melasse und servierte sie zum Nachmittagstee. Es war wirklich cool, zuzusehen, wie sie so vor sich hin köchelten; Francis beugte sich dann immer über den Melassetopf, der schrecklich süß und nach Teer roch, und verfiel in eine glückliche Trance. Er mochte kandierte Grillen, das Knirschen zwischen den Zähnen, den öligen Grasgeschmack im Mund. Und er mochte seine Großtante und wäre gerne für immer bei ihr geblieben, aber irgendwann kam sein Vater und holte ihn von dort weg.
    Jedenfalls hatte Francis Huey erzählt, wie es war, Grillen zu essen, und der wollte es mit eigenen Augen sehen, nur dass sie keine Melasse und auch keine Grillen hatten. Also hatte Francis eine Kakerlake gefangen und sie bei lebendigem Leibe verspeist. Sie schmeckte salzig und bitter und hatte einen metallischen Nachgeschmack, der ziemlich widerlich war. Aber Huey lachte, und Francis war so stolz, dass ihm für einen Moment die Luft wegblieb – wie eine Grille, die in Melasse ertrank, hatte er das Gefühl, in Süße zu ersticken.
    Seither trommelte Huey seine Freunde immer mal wieder zu nachmittäglichen Horrornummern auf dem Spielplatz zusammen. Sie brachten Francis Kakerlaken, und er aß sie auf. Dann nahm er einen Nachtfalter mit wundervollen, blassgrünen Flügeln zwischen die Zähne und kaute langsam darauf herum, und die Jungs wollten von ihm wissen, wie er sich dabei fühlte, wie es schmeckte. »Hungrig«, erwiderte er auf die erste Frage; »wie Rasen«, auf die zweite. Er goss Honig auf den Boden, um damit Ameisen anzulocken, und sobald sie in dem schimmernden Bernsteinklumpen gefangen waren, schlürfte er sie mit einem Strohhalm auf. Wenn sie durch das Röhrchen flutschten, machten die Ameisen fft-fft-fft. Ein Raunen ging durch das Publikum, und Francis strahlte – er war jetzt eine Berühmtheit!
    Allerdings war das ein völlig neues Gefühl für ihn, und so schätzte er falsch ein, was er seinen Fans zumuten konnte und was nicht. Bei einem der nächsten Male fing er Fliegen, die einen verkalkten Haufen Hundescheiße umschwärmten, und

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