Black Box
irgendwann wurde es vom Wind davongetragen, während das Haus unverändert blieb – ein leer stehendes, schmutzig weißes Gebäude im Kolonialstil, dessen Rasen unter Unkraut und welkem Laub begraben war.
Finney schlief unruhig. Manchmal wachte er auf, wenn das Handy auf seinem Nachttisch klingelte. Benommen und halb wach lag er blinzelnd in der Finsternis und lauschte dem Klingeln, bis ihm einfiel, dass er ja überhaupt kein Handy mehr hatte. Dann hörte das Klingeln auf. Hin und wieder langweilte ihn die Schule so sehr, dass er nach dem Mittagessen einfach schwänzte und spazieren ging. Meistens fand er sich dann vor Alberts Haus wieder.
Eines Tages stand er dort, die Hände in den Maschendrahtzaun verkrallt, und betrachtete das weiße Gebäude. Da hörte er drinnen leise ein Telefon klingeln … Einmal, zweimal. Sofort kletterte er den Zaun hoch und sprang hinüber.
Er folgte dem Klingeln bis zur Rückseite des Hauses, kauerte sich ins Unkraut und schob das Gestrüpp beiseite, um zu dem Fenster vorzudringen, das in den Keller führte. Er trat es ein, trat das rostige Gitter dahinter aus dem Rahmen und ließ sich hindurchfallen. Die Matratze war verschwunden, aber das Telefon hing noch immer an der Wand. Der Hörer lag in der silberfarbenen Gabel. Finney fragte sich nicht, wann und von wem er wohl wieder angebracht worden war. Das Telefon klingelte, während er den Raum durchquerte. Er nahm ab und drückte den Hörer ans Ohr.
»Hallo?«, fragte er. »Ist da jemand?«
Endspurt
Am Donnerstagnachmittag kam Kensington mit einem Piercing zur Arbeit. Wyatt fiel das auf, weil sie immer wieder den Kopf senkte und sich ein zusammengeknülltes Kleenex vor den offenen Mund hielt. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich das Taschentuch rot verfärbt. Er stellte sich an den Terminal links von ihr und beobachtete sie aus den Augenwinkeln, während er mit dem Scanner einen Stapel Videos in den Lagerbestand einlas. Als sie dann das nächste Mal das Kleenex vor den Mund hob, konnte er einen flüchtigen Blick auf die Edelstahlnadel werfen, die in ihrer blutenden Zunge steckte. Die Sarah-Kensington-Story hatte eine interessante Entwicklung genommen.
Sie wurde immer punkiger. Als er bei Best Video angefangen hatte, war sie mit ihren kurz geschnittenen braunen Haaren und den kleinen, eng zusammenstehenden Augen ziemlich unattraktiv gewesen. Sie gab sich abweisend, reserviert, wie jemand, der es gewohnt ist, nicht gemocht zu werden. Wyatt neigte zu demselben Verhalten und hatte gedacht, dass sie eigentlich gut miteinander klarkommen würden, aber das war ein Irrtum gewesen. Sie sah ihn nur an, wenn es sich wirklich nicht vermeiden ließ, und wenn er etwas zu ihr sagte, tat sie oft so, als würde sie ihn nicht hören. Allmählich kam er zu der Erkenntnis, dass es die Mühe nicht wert war, sie näher kennenzulernen; es war viel einfacher, sie zu ignorieren, ihr aus dem Weg zu gehen.
Eines Tages war ein Mann in den Laden gekommen, so ein Zirkusfreak um die vierzig mit rasiertem Schädel und einem Hundehalsband um den Hals, an dem eine Leine baumelte. Er fragte Kensington nach Sid & Nancy, und sie plauderten eine Weile miteinander. Kensington lachte über alles, was er sagte, und wenn sie sprach, purzelten ihr die Worte in einem lauten, aufgeregten Schwall aus dem Mund. Es war wirklich witzig, dabei zuzusehen, wie sie wegen diesem Kerl Kapriolen schlug.
Als Wyatt dann am nächsten Nachmittag zur Arbeit kam, hingen die beiden in der Gasse neben dem Laden herum, wo man sie von der Straße aus nicht sehen konnte. Der Zirkusdepp presste sie gegen die Wand, ihre Hände waren ineinander verschlungen. Kensington steckte dem Glatzkopf hektisch die Zunge in den Mund. Jetzt, ein paar Monate später, waren ihre Haare merkwürdig kupferfarben, sie trug Bikerstiefel und hatte einen gespenstischen Lidschatten. Und einen Stecker in der Zunge.
»Warum blutet das denn so?«, fragte er.
»Weil ich’s grad erst hab machen lassen«, erwiderte sie, ohne aufzublicken. Die Liebe hatte sie nicht gerade zugänglicher gemacht – sie sah immer mürrisch drein, wenn Wyatt sie ansprach, und ging ihm aus dem Weg, als sei die Luft um ihn herum vergiftet. Was auch immer sie gegen ihn hatte, es ließ sich nicht in Worte fassen.
»Hätte ja sein können, dass du in einem Reißverschluss hängengeblieben bist.« Er machte eine kurze Pause, dann fügte er hinzu: »Ist wohl die einzige Möglichkeit, dass er weiter auf dich abfährt. Für dein gutes Aussehen wird er
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