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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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sich ja nicht interessieren.«
    Ihre Reaktion überraschte ihn. Mit traurigen Augen und bebendem Kinn sah sie ihn kurz an und sagte mit einer Stimme, die er kaum wiedererkannte: »Lass mich in Ruhe!«
    Wyatt war es unangenehm, dass er plötzlich Mitleid für sie empfand. Hätte er doch nur die Klappe gehalten, egal, wie sehr sie ihn provoziert hatte! Sie wandte sich ab, und er wollte schon nach ihrem Arm greifen und sie zurückhalten, bis ihm einfiel, wie er sich entschuldigen konnte, ohne allzu dumm dazustehen, als sie plötzlich herumfuhr und ihn mit tränenerfüllten Augen anstarrte. Sie sagte etwas, das er nur zum Teil verstand – irgendwas mit Vollidiot, und er solle doch erst mal lesen lernen –, aber was er hörte, war mehr als genug. Er spürte, wie sich ein beinahe schmerzhaftes Kältegefühl in seiner Brust ausbreitete.
    »Mach noch einmal den Mund auf, und ich reiß dir den Stecker aus der Zunge, du Schlampe.«
    Ihr Blick wurde stumpf vor Zorn. Das war die Kensington, die er kannte! Langsam setzte sie sich in Bewegung, und ihre kurzen dicken Beine trugen sie um die Verkaufstheke herum in den hinteren Teil des Ladens. Dumpfe Übelkeit und Wut stiegen in ihm auf: Kensington ging ins Büro zu Mrs. Badia, um ihn anzuschwärzen.
    Er beschloss, eine kurze Pause zu machen, schnappte sich seine Armeejacke und stieß die Plexiglastüren auf. Draußen steckte er sich eine American Spirit an und lehnte sich mit hochgezogenen Schultern gegen die Stuckwand. Er rauchte und zitterte und warf einen frustrierten Blick über die Straße Richtung Miller’s Eisenwarenhandlung.
    Gerade bog Mrs. Prezar mit ihrem Kombi in den Parkplatz vor dem Laden ein, ihre beiden Jungs mit im Auto. Mrs. Prezar wohnte am anderen Ende seiner Straße, in einem Haus, das die Farbe eines Erdbeermilchshakes hatte. Vor ein paar Jahren hatte er bei ihr öfter mal den Rasen gemäht.
    Mrs. Prezar stieg aus und ging mit forschem Schritt auf die Ladentür zu; den Motor ließ sie laufen. Sie hatte ein breites Gesicht, ausdruckslos wie das eines Roboters, und war ziemlich stark geschminkt, doch im Grunde sah sie nicht schlecht aus. Etwas an ihrem Mund hatte Wyatt schon immer gefallen – diese volle Unterlippe, die irgendwie sexy war.
    Einer ihrer Söhne saß auf dem Beifahrersitz, der andere hinten auf der Rückbank, festgezurrt im Kindersitz. Der Junge vorne war groß und dünn, was er von seinem Vater geerbt haben musste. Er hieß Baxter; Wyatt wunderte sich, dass er sich daran noch erinnern konnte. Den anderen konnte er von seinem Standort kaum sehen, nur eine dunkle Mähne und pummelige Hände, die in der Luft herumfuchtelten.
    Kaum war Mrs. Prezar im Laden verschwunden, drehte sich der ältere Junge um und hielt seinem kleinen Bruder einen Lutscher hin. Als der die Hände danach ausstreckte, zog Baxter ihn wieder zurück. Dann begann das Spiel von vorn. Nach einer Weile wollte sein Bruder jedoch offenbar nicht mehr nach dem Lutscher greifen, denn nun fing Baxter an, ihn damit zu hauen. Das ging einige Zeit so weiter, bis Baxter den Lutscher schließlich aufriss und ihn sich genüsslich in den Mund steckte. Er trug ein Cap mit dem Twin-City-Pizza-Logo – Wyatts alter Mannschaft. War Baxter schon alt genug, um in der Little League zu spielen? Wyatt glaubte nicht, aber vielleicht hatten sie ja das Eintrittsalter gesenkt.
    Wyatt hatte gute Erinnerungen an die Little League. In seinem letzten Jahr bei Twin City hatte er beinahe den Ligarekord eingestellt – einer der wenigen Momente in seinem Leben, wo er sicher war, etwas besser zu können als alle anderen in seinem Alter. Bis zum Ende der Saison hatte er es auf neun Steals gebracht und war nur einmal erwischt worden. Ein linkshändiger Pitcher mit käsigem Gesicht hatte ihm zuerst einen Vorsprung gelassen, doch bevor Wyatt zum Endspurt ansetzen konnte, hatten ihn First und Second Baseman in die Zange genommen und warfen sich lässig den Ball zu. Schließlich versuchte er auszubrechen, in der Hoffnung, dem Abschlagen zu entkommen und wegzutauchen, doch im selben Augenblick, in dem er diese Entscheidung getroffen hatte, wusste er schon, dass sie falsch gewesen war. Ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit überkam ihn – er rannte nur dem Unvermeidlichen entgegen. Der Second Baseman, ein Junge namens Treat Rendell, Star der gegnerischen Mannschaft, baute sich mit gespreizten Beinen vor ihm auf und wartete, und Wyatt hatte das Gefühl, dass er so schnell rennen konnte, wie er wollte, er würde seinem

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