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Black Box

Black Box

Titel: Black Box Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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jetzt kann sich der Leser ja ein eigenes Urteil darüber bilden.
9
    Finney saß zusammen mit seiner Mutter im Krankenwagen. Sie hielt ihn so fest an sich gedrückt, dass es ihm fast ein bisschen wehtat, und wiegte ihn schluchzend vor und zurück. Die wenigen Worte, die sie sagte, konnte er nicht verstehen. Susannah schaute durch die offene Hecktür zu ihnen herein und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie war so blass, dass ihre Wangen wie polierte Knochen aussahen.
    »Hast du sie gesehen?«, keuchte Finney. »Hast du die schwarzen Ballons gesehen?«
    Susannah riss die Augen auf und wich erschrocken zurück. Die Finger ihrer blassen Hand schlossen sich um ihren Hals.
    Die Leichen der anderen Kinder wurden in einem Schuppen fünfzig Meter vom Haus entfernt gefunden. Sie waren in Plastikplanen gewickelt und lagen unter den Dielen verborgen. Die Polizeibeamten, die sie dort herausholten, trugen Schutzanzüge, und der Beamte, der für die Aktion verantwortlich war, ließ sich drei Tage darauf vorzeitig pensionieren und zog zum Angeln nach Florida.
    Von seinem Vater erfuhr Finney, das der Dicke Albert Cross hieß und stellvertretender Verkaufsleiter in einem Laden für Partybedarf gewesen war. Das Geschäft machte bald darauf zu. Als Finney mit seiner Mutter Monate später auf dem Weg zum Friseur daran vorbeifuhr, hing zwar noch das Ladenschild darüber, aber die Schaufenster waren vernagelt. Auf dem Schild war ein Clown zu sehen, der ihnen mit pummeligen weißen Händen zuwinkte. Ein einfallsreicher Graffitikünstler hatte ihm Hörner und spitze Vampirzähne aufgemalt.
    Zu Weihnachten bekam Finney von seiner Mutter ein Handy, damit er sie immer erreichen konnte. Er behielt es nur ein paar Wochen lang. Dann warf er es weg und erzählte ihr, er habe es verloren. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, immer ein Telefon dabeizuhaben. Oft vergaß er, dass er es überhaupt in der Tasche hatte, und wenn es dann klingelte und er überhaupt nicht damit rechnete – im Kino oder beim Pinkeln in der Schule –, versetzte ihm das immer einen Riesenschreck. Zum Geburtstag schenkte seine Mutter ihm wieder ein Handy. Auch das verlor er.
    Seine Eltern konnten sich nicht einigen, wer schuld daran war, dass Finney entführt und fast umgebracht worden war, aber nach zwei Jahren hatten sie die Streitereien satt. Finneys Vater suchte sich eine Stelle in St. Louis, und Susannah ging mit ihm. Ab und zu rief sie an, um sich nach Finney und Mutter zu erkundigen. Wenn das Telefon klingelte, wusste Finney immer gleich, ob es seine Schwester war. Er wusste es, noch bevor er den Hörer abnahm. Es war einfach so ein Gefühl. Manchmal sagte er sogar »hallo, Susannah«, bevor sie etwas sagen konnte. Sie wollte daraufhin wissen, ob so ein Display, auf dem man sehen könne, wer gerade anrufe, teuer sei, und Finney erwiderte, dass es fast nichts kostete.
    Seine Schulnoten waren ihm ziemlich gleichgültig, und während seinem ersten Jahr auf der Highschool schnitt er schlecht ab. Im zweiten Jahr wurde es noch schlimmer. Er nahm sich vor, wieder Sport zu betreiben, aber selbst sein Lieblingssport Baseball konnte ihn nicht begeistern. Sein Trainer erklärte ihm, wenn er sich nicht größere Mühe gebe, werde er ihn nicht mehr aufstellen. Finney nahm ihm die Entscheidung ab und ging einfach nicht mehr zum Training.
    Als er sechzehn wurde, erlaubte ihm seine Mutter den Weg von der Schule nach Hause allein zu gehen. Bis dahin hatte sie ihn überallhin gefahren, und er durfte das Haus nur in Begleitung eines Erwachsenen verlassen.
    Auf den Heimweg nach der Schule freute er sich jeden Tag aufs Neue, ganz egal, wie das Wetter war. Er schlenderte allein die Straßen unter den Erlen entlang, und es machte ihm Spaß, den kleineren Kindern dabei zuzuschauen, wie sie einander auf ihren Fahrrädern nachjagten. Immer wenn er an Himmel-und-Hölle-Kästchen vorbeikam, die mit Kreide auf den Gehweg gemalt waren, sprang er darin herum und tat so, als wäre er noch ein kleines Kind. Er war schon seit Jahren kein Kind mehr gewesen.
    Manchmal entwickelten seine Füße ein Eigenleben. Dann nahm er einen größeren Umweg und schaute am Haus von Albert Cross vorbei. Es stand leer und war mit Maschendraht eingezäunt. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt. Erst hieß es, es solle versteigert werden, dann wieder, es solle abgerissen werden, weil niemand es haben wolle. Für eine Weile hing ein Pappschild mit der Aufschrift ZUM ABRISS FREIGEGEBEN am Zaun, aber

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