Black Cats 01. Was kostet der Tod
weiter.
Den antiken Esszimmertisch hatte er zusammen mit diesem Haus in Alexandria geerbt. Jetzt war er mit Akten und Fotos übersät. Autopsieberichte, Befragungen und Ermittlungsberichte stapelten sich übereinander. Auf den Stühlen standen noch weitere Aktenkartons. Jedes bisschen Information, das derzeit zum Sensenmann-Fall vorlag, war in dem eleganten Haus verstreut, das einmal seinen Großeltern gehört hatte. Damit hatte eine Flut von Düsternis davon Besitz ergriffen, die im krassen Gegensatz zu der Heiterkeit und Ruhe stand, die das Leben dieses sanftmütigen Paares geprägt hatte.
»Ich bin froh, dass ihr so etwas nie erlebt habt«, murmelte er, als er die grausamen Fotos vom Tatort des dritten Mordes vor sich ausbreitete und sie einmal mehr in Augenschein nahm. Denn es musste irgendetwas darauf zu finden sein, das ihnen in diesem Fall zum Durchbruch verhalf. Aber es war wie bei einem Buch, das man noch einmal las: Je öfter er diese Bilder betrachtete, desto mehr konzentrierte sich sein Geist auf das, was seine Augen überfliegen wollten, weil es ihnen bereits zu vertraut war. Also holte er ein Vergrößerungsglas hervor und untersuchte jeden Zentimeter.
Nichts.
Er hörte das Klingeln der Eieruhr, legte die Fotos weg und fragte sich, wie normale Leute reagieren würden, wenn sie eine leckere Pasta Marinara an einem Tisch zu sich nehmen müssten, der mit Belegen für Leid und Grausamkeit bedeckt war. Seine Arbeit hatte ihn abgehärtet, aber sie hatte ihn nicht immun gemacht. Also nahm er den Teller mit zum Sofa, setzte sich, legte die Füße auf den Couchtisch und ließ die Fotos im Esszimmer.
Er hatte gerade zwei Bissen gegessen, als ein Nachrichtenbeitrag gezeigt wurde, der seine Aufmerksamkeit weckte. Ein Foto füllte den Bildschirm aus, und die Schlagzeile lief am unteren Rand durchs Bild. Wyatt griff nach der Fernbedienung und drückte auf die Lautstärketaste.
Als ihm einen Augenblick später der Teller mit der Pasta Marinara vom Schoß rutschte und zu Boden fiel, merkte er es nicht einmal.
Nachdem sie zu Hause angekommen war und das Grauen auf ihrer Veranda und an der Haustür gesehen hatte, dachte Stacey erst, dass vielleicht irgendein Teenager, den sie festgenommen hatte, mit einer Sprühdose ausgeflippt war. Aber dann hatte sie schnell die entsetzliche Wahrheit begriffen: Die Kreise von der Größe einer Untertasse und die langen, dünnen Schlieren – das war keine Farbe.
Sondern Blut.
Dickflüssiges Blut, das zu bräunlichen Lachen gerann und in der heißen Luft des Sommerabends Fliegen anlockte. Mit jedem Atemzug drang ihr der Kupfergeruch in die Lunge. Überwältigt von dem Gestank – und von den fürchterlichen, lebhaften Erinnerungen, die der Geruch und das Gefühl der glitschigen Flüssigkeit an den Fingern in ihr wachriefen – , hatte sie einfach nur dagestanden und nach Luft geschnappt.
Und dann hatte sie den Kadaver entdeckt. Sie hatte sie sofort erkannt. Die bedauernswerte, magere Tierleiche war verstümmelt, das ehemals weiche Fell verfilzt und klebrig. Aber die sanften braunen Augen, die jetzt leer und glasig waren, waren nicht zu verkennen.
Dad würde es das Herz brechen. Er würde am Boden zerstört sein, und Stacey graute bereits davor, es ihm zu sagen. Denn bei dem armen, mitleiderregenden Geschöpf handelte es sich zweifellos um Lady, die frei laufende Streunerin, die sich ihren Vater ausgesucht und ihn adoptiert hatte.
»Er hat dich geliebt, mein Mädchen«, flüsterte sie, und ihre Stimme brach. »Du hattest ein Zuhause und eine Familie, ob du das wolltest oder nicht.«
Das waren die ersten Worte, die sie zustande brachte, seit sie vor einer halben Stunde zu Hause angekommen war. Vorher hatte sie vor Entsetzen nicht sprechen können. Sie hatte sich so misshandelt gefühlt, als hätte jemand sie geschlagen. Genau das hatte derjenige, der ihr diese böse Überraschung hinterlassen hatte, beabsichtigt.
Irgendwer hatte tatsächlich einen gutherzigen, liebenswerten alten Hund getötet, dessen einzige Sünde darin bestanden hatte, dass er gelegentlich auf einer Verandatreppe geschlafen hatte, wo jemand über ihn stolpern konnte.
Stacey hatte einen Moment innegehalten und gebetet, dass Lady bei einem Unfall gestorben war. Sie hatte schon oft Tiere gesehen, die von einem Auto erfasst worden waren; bei dieser Art von Notfällen rief man hier in Hope Valley üblicherweise die Polizei. Besonders oft passierte das auf der kurvenreichen Landstraße, an der ihr Vater
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