Black CATS - Parrish, L: Black CATS
füllte. Sobald er gegangen und sie wieder auf sich allein gestellt war, würde sie sehr genau darüber nachdenken.
Am Fuß der Treppe blieb sie stehen, setzte sich auf die verwitterten Holzbretter, die in den Fels gebaut waren, und stützte die Ellbogen auf die Knie. Der Saum ihrer Jogginghose rutschte ein wenig hoch – gerade genug, dass das Schienbeinholster und die kleinkalibrige Pistole zum Vorschein kamen, die sie ständig bei sich trug. Verlegen zog sie die Hose ein Stück runter, obwohl sie vollkommen allein war. Wyatt wusste, dass sie Waffen besaß – aber er brauchte nicht unbedingt zu wissen, dass sie sie mitnahm, wenn sie das Haus verließ.
Am Horizont, wo das dunkle Meer mit dem tiefblauen Himmel zusammentraf, wurden langsam Streifen aus Rosa und Orange sichtbar. Wie immer hielt Lily den Atem an, rührte sich nicht von der Stelle, genoss diesen einen Moment am Tag mehr als jeden anderen.
Ihre Geduld wurde bald belohnt. Unvermittelt tauchte die goldene Sonnenkugel auf und sandte ihre Lichtstrahlen weit übers Wasser. Von einem Moment auf den nächsten war der Tag angebrochen, und ein Hauch von Wärme durchdrang die kühle Morgenluft.
»Also gut, wieder ein neuer Tag«, sagte sie zu sich selbst. »Mach was draus.«
Auch wenn sie sich selten weit vom Haus wegwagte, genoss sie doch ihre gelegentlichen Trainingseinheiten am Strand. Der Küstenstreifen, den die Einwohner Dead Man’s Beach nannten – wahrscheinlich wegen irgendeines Schiffsunglücks zwischen den Felsen – , lag weitab von den überlaufenen Touristenstränden. Zwar war es kein Privatstrand, aber er war so abgeschieden, dass er kaum Besucher anzog. Ein längst stillgelegter Leuchtturm ragte noch knapp einen Kilometer weiter nördlich auf einer Landzunge in die Höhe, doch es kam so gut wie nie jemand vorbei, um ihn zu erkunden.
Heute war das nicht anders. Keine Menschenseele, so weit das Auge reichte. Also nutzte sie die Gelegenheit und joggte am Strand entlang, bis hoch zum Leuchtturm und zurück. Dann dehnte sie sich und machte ein paar Übungen zur Vorbereitung auf die Unterrichtsstunde mit dem Sarge am Nachmittag.
Noch etwas, das Wyatt zu missfallen schien, auch wenn er nie ein Wort darüber verlor. Er hatte nichts dagegen gehabt, als sie nach der Physiotherapie ein paar Stunden Kampfsportunterricht genommen hatte, um ihr schwer verwundetes Bein zu kräftigen. Allerdings ahnte er wohl, dass es noch einen anderen Grund gab, warum sie damit weitermachte, nicht nur um wieder in Form zu kommen oder um ihr inneres Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Sie hatten nicht darüber gesprochen, aber er war nicht dumm. Er wusste, was in ihr vorging, wusste, dass sie mit unumstößlicher Sicherheit spürte, dass ihr Entführer sie verfolgen würde, wenn er jemals herausfand, dass sie noch am Leben war.
Und sie machte sich bereit. Nicht nur, um sich zu verteidigen. Sondern vielleicht auch, um sich zu rächen.
»So wie du die Balance hältst, würde kein Mensch je vermuten, dass du einmal am Bein verletzt wurdest«, erklang eine Stimme.
Sie drehte sich nicht um. Schon vor einer Weile hatte sie bemerkt, dass Wyatt die Treppe herunterkam. Sie hatte einfach weitergemacht, weil sie nicht in ihre frühere Befangenheit hatte zurückfallen wollen. Außerdem wusste sie genau, dass es bei einem kurzen Blick nicht bleiben würde, wenn sie einmal zu ihm hinüberschaute.
Wyatt trug fast ausschließlich Anzüge. Teure, maßgeschneiderte Anzüge. Doch manchmal, äußerst selten, kleidete er sich auch leger. Und das war beinahe noch schlimmer für ihren Seelenfrieden. Seine ausgewaschene, abgewetzte Jeans schmiegte sich eng an die muskulösen Beine, und das lässige Polohemd mit dem hochgestellten Kragen betonte seine breiten Schultern und die starken Arme. Er sah ein bisschen weniger aus wie ihr einstiger Chef und ein bisschen mehr wie der begehrenswerte Mann, der in ihren unsittlichen Träumen auftauchte.
»Ja, wenn man die Narben nicht sieht«, antwortete sie und wechselte geschmeidig von einer Verteidigungsstellung in die nächste.
»Auch darum könnte sich ein Schönheitschirurg kümmern.«
Wieder änderte sie lautlos die Haltung. »Vielleicht nehme ich mir einen in Williamsburg.«
Er verschränkte die Arme und reckte das markante Kinn. »Denk nicht mal daran.«
Das war die Reaktion, die sie erwartet hatte. »Du hast selbst gesagt, dass es uns weiterhelfen könnte, wenn ich mir die Stimmen von einigen der Ärzte anhöre, die auf der Tagung
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