Black Cherry Blues (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Meeresgrund zu leben, hatte ich einen Therapeuten aufgesucht, anstatt auf den Morgen zu warten, an dem ich in der blaugrauen Dämmerung erwachen, ganz ruhig in Unterwäsche auf dem Bettrand sitzen und mir den Lauf meines 45ers in den Mund schieben würde. Und schließlich hatte ich Alafair, die mir in einer grünen Luftblase in der Tiefe des Golfs geschenkt worden war.
Vielleicht geht das Spiel ja in die Verlängerung, dachte ich, und der Gegner hat dir deinen Schmetterball um die Ohren gedroschen, und dein Effetball wurde über den Seitenzaun geschlagen, und nun bist zu zum drittenmal am Zug. Die Nachmittagssonne wirft immer längere Schatten aufs Spielfeld, dein Wurfarm schmerzt, und die Anfeuerungsrufe der Fans auf der Tribüne dringen nur noch als undeutliches Gemurmel an dein Ohr. Ein leichter Wind kommt auf, der den Schweiß auf deinem Gesicht und in deinem Nacken trocknen läßt, du wischst dir mit dem Trikotärmel über die Augen, reibst den Ball an deiner Hose noch einmal sauber, packst ihn dann so fest, daß du jede einzelne Naht spürst, und plötzlich wird dir klar, daß der Spielstand inzwischen völlig nebensächlich ist, daß du total versagt hast, was aber nicht weiter schlimm ist, denn du empfindest auf einmal ein bislang unbekanntes Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit, dem Sieg oder Niederlage nichts anhaben können. Der gegnerische Schlagmann erwartet einen weiteren Bogenball, doch statt dessen holst du so fest aus, wie du kannst, die kühle Brise hat dein Gesicht getrocknet, dein Arm scheint schwerelos zu sein, und du legst so viel Kraft in die Drehung, daß dir fast der Hintern unterm Kreuz wegrutscht, dein Arm schnellt vor wie eine Schlange beim tödlichen Biß, und der Ball passiert den Schlagmann wie ein geölter Blitz. Und genauso sicher wirfst du den Rest der Spielzeit über, in der die Schatten noch länger werden, Staub von den Laufstrecken zwischen den Basen aufwirbelt und eine an einem Eisenmast befestigte Flagge unterm blauen Himmel im Wind knattert – du spielst weiter, ohne dich um irgendein Resultat zu kümmern.
Und ich wollte mich auch nicht damit abfinden, daß zwischen Tess Regan und mir das letzte Wort gesprochen war. Einfach heulend aus dem Zimmer stürzen, als hätte ich mich wie ein Unmensch benommen, so verhält sich nur, wer seinem Gegenüber ernsthaft weh tun will. Nach dem Mittagessen rief ich sie an und sagte es ihr. Dann fragte ich, ob sie Lust hätte, am Abend mit mir und Alafair in ein Restaurant zu gehen.
»Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich will auch nicht unhöflich erscheinen. Ich verstehe Sie eben einfach nicht«, sagte sie.
»Hören Sie auf, immer die zickige Grundschullehrerin zu markieren.«
»Hören Sie lieber auf, in diesem Ton mit mir zu reden.«
»Behandeln Sie mich nicht, als ob ich 'nem UFO entstiegen wäre.«
»Sie sind schon ein erstaunlicher Mensch. Glauben Sie, ich lasse mich erst von Ihnen beleidigen und anschließend zum Essen ausführen?«
»Ich war nur ehrlich, Tess. Sie kümmern sich rührend um Alafair, deshalb stehe ich in Ihrer Schuld. Ich habe großen Respekt vor Ihnen, und ich mag Sie. Das sollten Sie nicht außer acht lassen. Mehr wollte ich Ihnen nicht sagen. Belassen wir’s dabei.«
Sie schwieg einen Moment, hielt dann den Hörer zur Seite und räusperte sich.
»Um halb sechs haben wir Elternsprechabend. Wir könnten anschließend noch irgendwo eine Kleinigkeit essen, wenn Sie möchten.«
Am frühen Abend putzte ich mir die Schuhe, zog eine Leinenhose und ein langärmeliges blaues Hemd mit dazu passender rot-schwarz gestreifter Krawatte an, und Punkt halb acht holten Alafair und ich sie in ihrer Wohnung ab. Sie lebte im Parterre eines älteren Apartmenthauses aus orangem Brandstein, dessen ausladende Veranda von massiven Holzsäulen flankiert wurde und in dessen Vorgarten eine riesige Birke stand, deren Stamm fast schlohweiß war. Sie trug beige Sandalen und ein Kleid, das mit blauen und rosa Blumen bedruckt war. Wir fuhren zu einem Gartencafé am Fluß und bestellten Eis mit Schokoladenkuchen. Zuvor hatte es kurz geregnet, aber jetzt sah der Himmel aus wie mit Tinte ausgewaschen, und vom Himmel über den entfernteren Bergkämmen zuckten vereinzelt Blitze nieder.
Alafair war natürlich überglücklich, daß ich einen Abend mit Tess Regan verbrachte. Aber ich wertete die Zusammenkunft nicht als Auftakt einer romantischen Beziehung. Zumindest redete ich mir das ein. Ich glaube, sie entsprach jenem Mädchentyp,
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