Black Cherry Blues (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Ist aber nicht so schlimm.«
»Was?«
»Ich hab sie mir beim Militär geholt. Auf den Philippinen. Man bekommt sie von Moskitostichen. Dauert nicht lange.«
»Wenn man krank ist, darf man aber nich aufsein. Ich kann mir selber Frühstück machen. Und deins auch.«
»Du sollst doch nicht ›nich‹ sagen.«
Sie nahm mir Kelle und Bratpfanne aus der Hand und wendete den Toast. Sie trug frische Jeans mit elastischem Bund sowie einen dunkelroten Pullover und eine weiße Bluse. Ihre schwarzen Haare glänzten im Licht der Küchenlampe.
Mein ganzer Körper fühlte sich lausig an. Ich setzte mich an den Küchentisch und wischte mir das Gesicht mit einem Geschirrhandtuch trocken. Ich mußte schlucken, bevor ich sprechen konnte.
»Kannst du dir den Mantel anziehen und heut mal allein zur Schule gehen?« sagte ich.
»Sicher.«
»Und wenn ich’s nicht schaffe, dich am Nachmittag abzuholen, gehst du zum Kindermädchen. Okay?«
»Okay.«
Ich sah ihr zu, wie sie ihr Pausenbrot einpackte und dann ihren gelben Regenmantel mit der Kapuze anzog.
»Wart einen Moment, ich fahre dich«, sagte ich.
»Ich kann das schon allein. Du krank, du.«
»Alafair, versuch doch, nicht so zu reden wie Batist. Er ist ein feiner Kerl, aber er ist nie zur Schule gegangen.«
»Dave, du immer noch krank.«
Ich streichelte ihr durchs Haar und drückte sie kurz an mich, dann zog ich mir den Regenmantel über und setzte den Hut auf. Draußen wehte ein kalter Wind, der vom Gestank der Zellstoffabrik unten am Fluß erfüllt war. Die feuchte Luft schmeckte nach fauligen Abwässern. Ich fuhr Alafair zur Schule Und setzte sie am Eingang zum Schulhof ab. Als ich wieder nach Hause kam, zitterte ich am ganzen Leib, und die Wärme von Kaminfeuer und Ofen wollte nicht durch meine Haut dringen. Im Gegenteil, das ganze Haus schien in trockene Eiseskälte gehüllt, die statische Elektrizität freisetzte, als ich einen Türknauf aus Metall berührte. Ich brachte einen großen Kessel Wasser zum Kochen, um die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen, und hockte mich dann zähneklappernd mit einer Decke um die Schultern vor den Kamin und sah zu, wie die Harztropfen an den Holzscheiten kochend zerplatzten.
Nachdem die letzten Scheite verglüht waren, fühlte ich mich wie an einen dunklen luftlosen Ort verbannt, wo die Erinnerung ihre Wahl traf und einem die Haut zentimeterweise vom Fleisch zog. Warum, vermag ich nicht zu sagen. Ich konnte mir diese Augenblicke nie erklären, und die Psychologen konnten es ebensowenig. Es geschah zum ersten Mal, als ich zehn Jahre alt war und mein Vater wegen einer Schlägerei in Provost’s Pool Room gerade seine zweite Haftstrafe im Bezirksgefängnis absaß. Ich war allein zu Hause und blätterte in meinem Religionsbuch, das eine Illustration mit den armen Seelen im Fegefeuer enthielt. Plötzlich fühlte ich mich in das Bild hineingezogen, für alle Zeiten gefangen in diesem Meer der Reue und der Verzweiflung. Schreckliche Angst und Schuldgefühle überwältigten mich, und auch der ganze Zuspruch des Sprengelpfarrers vermochte mich nicht davon zu erlösen.
Als Erwachsener begann ich sofort zu trinken, wenn ich von diesen Zuständen heimgesucht wurde. Ich tat es mit aller Macht, wie jemand, der ein Glas Benzin in einen schwelenden Haufen nasser Blätter wirft, damit die Flammen richtig in die Höhe schießen. Ich trank Jim Beam und Jack Daniels pur, mit einem eisgekühlten Jax zum Nachspülen; zum Frühstück Wodka, um die Spinnen wieder in ihr Nest zu scheuchen; am Mittag vierstöckige Wild Turkeys, damit Frankenstein wieder in der Truhe verschwand, bis die Welt am Nachmittag, wenn die Sonne auf Eichen und Palmen fiel und ein salzhaltiger Wind über den Lake Pontchartrain blies, wieder ihre vertrauten Konturen annahm.
Doch an diesem Morgen war es schlimmer als eh und je. Möglicherweise war es Malaria, vielleicht aber auch der kindische Stoffwechsel meiner Seele, der immer noch nach einem Drink lechzte und mir Wege aufzeichnen wollte, wie die altbekannte Alternative praktikabel wäre. Aber ich glaube, in Wirklichkeit war es etwas anderes. Wahrscheinlich war ich, wie Annie gesagt hatte, tatsächlich auf der Kippe angelangt.
Dort, wo man sich von allen irdischen Verpflichtungen löst, von allem, was man ist oder was man war, wo man am Rande aller Sphären verglüht und Sonne und Mond sich verdunkeln und die Welt unter einem fern und tot ist und ohne jeden Reiz, als wäre sie mit Eis überzogen.
Kommt es auf diese Weise? dachte ich.
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