Black Dagger 09 - Seelenjäger
der Jungfrau der Schrift keine Fragen. Nicht, wenn man keine Ambitionen hatte, sich eine Beschäftigung als Bohnerwachs in den Lebenslauf schreiben zu können.
»Dein Geburtstag jährt sich bald.«
Das stimmte, er würde bald dreihundertunddrei Jahre alt, aber warum ihm das einen Privatbesuch von ihr einbringen sollte, war ihm schleierhaft. Wenn sie ihm ein paar fröhliche Geburtstagswünsche zukommen lassen wollte, dann wäre ein Umschlag in der Post völlig ausreichend. Scheiße, von ihm aus wäre auch eine E-Card total okay.
»Und ich habe ein Geschenk für dich.«
»Ich bin geehrt.« Und verwirrt.
»Deine Partnerin ist bereit.«
Vishous zuckte am ganzen Körper zusammen, als hätte man ihm ein Taschenmesser in den Hintern gerammt. »Verzeihung, was …« Keine Fragen, du Volltrottel. »Äh … bei allem Respekt, ich habe keine Partnerin.«
»Doch, hast du.« Sie ließ ihren leuchtenden Arm sinken.
»Ich habe sie aus allen Auserwählten auserkoren, deine erste Partnerin zu sein. Sie ist von reinstem Blut und von erlesenster Schönheit.« Als V den Mund aufmachte, überrollte ihn die Jungfrau der Schrift geradezu. »Du wirst dich vereinigen, und ihr beide werdet euch mehren, und du wirst dich auch mit den anderen mehren. Deine Töchter werden die Reihen der Auserwählten auffüllen. Deine Söhne werden der Bruderschaft angehören. Das ist dein Schicksal: der Primal der Auserwählten zu werden.«
Das Wort Primal explodierte wie eine Wasserstoffbombe zwischen ihnen.
»Verzeiht mir, Jungfrau der Schrift … äh …« Er räusperte sich und ermahnte sich gleichzeitig, dass man Ihre Heiligkeit nicht verärgerte, weil man sonst eine Grillzange bräuchte, um die eigenen dampfenden Einzelteile wieder aufzuheben. »Ich möchte nicht anmaßend sein, aber ich werde mir keine Frau nehmen …«
»O doch, das wirst du. Und du wirst dem Zeremoniell gemäß bei ihr liegen, und sie wird deine Nachkommen tragen. Wie auch die anderen.«
Visionen von sich selbst, gefangen auf der Anderen Seite, umgeben von Frauen, nicht in der Lage zu kämpfen oder seine Brüder zu sehen … oder … Himmel, Butch … löste das Scharnier an seinem Mund. »Mein Schicksal ist das eines Kämpfers. Zusammen mit meinen Brüdern. Ich bin, wo ich sein sollte.«
Außerdem, nach allem, was man mit ihm angestellt hatte – konnte er überhaupt Kinder zeugen?
Er rechnete damit, dass sie an die Decke ging wegen seiner Ungehorsamkeit. Doch sie sagte nur: »Wie furchtlos von dir, dich über deine Stellung zu erheben. Du bist deinem Vater so ähnlich.«
Falsch. Er und der Bloodletter hatten nichts gemein. »Eure Heiligkeit …«
»Du wirst das tun. Und du wirst dich aus freiem Willen beugen.«
Seine Antwort kam prompt und kalt. »Dafür bräuchte ich einen verdammt guten Grund.«
»Du bist mein Sohn.«
V hörte auf zu atmen, seine Brust wurde hart wie Zement. Das hatte sie sicher im übertragenen Sinn gemeint.
»Vor dreihundertunddrei Jahren wurdest du aus meinem Leib geboren.« Die Kapuze der Jungfrau der Schrift fiel von ganz allein zurück und enthüllte eine geisterhafte, ätherische Schönheit. »Hebe deine sogenannte verfluchte Hand und kenne unsere Wahrheit.«
Das Herz bis zum Hals schlagend, zerrte sich V ungeschickt den Lederhandschuh herunter. Entsetzt starrte er auf das, was sich unter der tätowierten Haut befand: Das Leuchten in ihm war genau wie das in ihr.
Lieber Himmel … Warum zum Teufel war ihm der Zusammenhang nicht schon früher aufgefallen?
»Deine Blindheit«, sagte sie, »gewährte dir die Möglichkeit zu leugnen. Du wolltest nicht sehen.«
V taumelte rückwärts. Als er gegen die Matratze stieß, ließ er sich fallen und sagte sich, dass jetzt kein guter Zeitpunkt war, den Verstand zu verlieren …
Aber Moment mal. Er hatte ihn schon verloren. Gut so, sonst würde er jetzt total abdrehen.
»Wie … ist das möglich?« Okay, das war definitiv eine Frage gewesen, aber wen zum Teufel interessierte das noch?
»Ja, ich werde deine Frage dieses eine Mal dulden.« Die Jungfrau der Schrift schwebte durch den Raum, ohne ihre Füße aufzusetzen, ihr Umhang blieb von der Bewegung unbeeinflusst, als wäre er in Stein gemeißelt. In der Stille erinnerte sie ihn an eine Schachfigur: die Königin, die Eine unter den anderen auf dem Brett, die in alle Richtungen ziehen durfte.
Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme tief. Unnachgiebig. »Ich wollte die Empfängnis und die Geburt körperlich erfahren, also nahm ich eine
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