Black Dagger 16 - Mondschwur
sie am Kragen aus dem Wagen. Sie war bereits blass gewesen, doch jetzt hatte sie die Farbe grauen Betons.
Sie würde bald tot sein, wenn sie es nicht ohnehin schon war.
Er hielt inne und schaute hinunter in ihr Gesicht. Dabei musterte er die tiefen Falten und die Äderchen, die ihr eine ungesunde Röte verliehen hatten. Vor vielen Jahren war auch sie einmal ein Neugeborenes gewesen.
Die Zeit und ihre Erfahrungen hatten sie sichtlich mitgenommen, und nun würde sie wie ein Tier allein im Dreck sterben.
Nachdem er sie fallen gelassen hatte, griff er nach vorne und schloss ihre Augenlider.
Grundgütiger …
Er hob die Hand an und sah durch den Handteller hinaus auf den Fluss.
Kein verfaulendes Fleisch mehr, sondern dunkler Schatten … in der Form der Hand, mit der er bisher geschrieben, Hiebe ausgeteilt und sein Auto gesteuert hatte.
Er zog die Manschette des Wettermantels hoch und stellte fest, dass sein Handgelenk immer noch körperlich war.
Eine Welle der Stärke durchfuhr ihn, und der Verlust
seiner Haut war nichts Bedauernswertes mehr, sondern etwas Erfreuliches.
Wie der Vater … so der Sohn.
Gott sei Dank würde er nicht so enden wie die Nutte, die er gerade zu sich selbst zurückgeschickt hatte. Er war dabei, eine Kopie von Omega zu werden: nicht faulend … aber sich verwandelnd.
Lash begann zu lachen, und die Befriedigung in seiner Brust bahnte sich den Weg durch seine Kehle. Er fiel neben der toten Frau auf die Knie und ließ der Erleichterung freien Lauf …
Plötzlich riss es ihn zur Seite, und er kotzte all das verdorbene Blut, das er aufgenommen hatte, aus sich heraus. Als es kurz aufhörte, wischte er sich mit der Hand das Kinn ab und betrachtete das glänzende rote Zeug, das den Schatten von dem bedeckte, was einmal sein Fleisch gewesen war.
Doch da war keine Zeit, seine aufkeimende neue Form zu bewundern.
Starkes Erbrechen peinigte ihn so sehr, dass er von Lichtpunkten, die in seinem Gesichtsfeld explodierten, geblendet wurde.
20
Payne saß in ihren privaten Gemächern und blickte durch das Fenster nach draußen. Das grüne Gras, die Tulpen und das Geißblatt reichten bis zu einer Gruppe von Bäumen, die den Rasen begrenzten, und über den luftigen Wipfeln der Bäume wölbte sich der dunstige Himmel wie der Deckel einer alten Kleidertruhe.
Aus eigener Erfahrung wusste Payne: Wenn man bis zum Rand des Waldes ging und in dessen Schatten eintrat, kam man genau an der Stelle wieder heraus, an der man ihn betreten hatte.
Es gab keinen Weg hinaus, es sei denn, man hatte die Erlaubnis der Jungfrau der Schrift. Sie allein besaß den Schlüssel zum unsichtbaren Schloss, und sie würde Payne nicht gehen lassen – nicht einmal zum Haus des Primals auf der Anderen Seite, wie es den anderen Auserwählten gestattet war.
Das bewies, dass die Jungfrau der Schrift ganz genau wusste, wen sie da zur Welt gebracht hatte. Sie war sich
absolut bewusst, dass Payne nie wieder zurückkommen würde, wenn sie sie einmal von der Leine ließ. Payne hatte das durchblicken lassen – und zwar mit einem Schrei, der ihr Trommelfell hatte vibrieren lassen.
Rückblickend stellte Paynes Gefühlsausbruch zwar einen Sieg der Ehrlichkeit, aber nicht gerade die beste Strategie dar. Es wäre besser gewesen, sie hätte das alles für sich behalten. Vielleicht hätte ihre Mutter es ihr dann erlaubt, gelegentlich die Andere Seite zu besuchen – und dort zu bleiben. Schließlich konnte ihre Mutter sie nicht zwingen, wieder ins Land der lebenden Statuen zurückzukehren.
Na ja, zumindest theoretisch nicht.
Bei dieser Überlegung dachte sie an Layla, die gerade von einem Treffen mit ihrem bevorzugten Bruder zurückgekommen war. Die Schwester hatte derart vor Glück und Zufriedenheit gestrahlt, wie Payne es noch nie getan hatte.
Das rechtfertigte ihrer Ansicht nach ihren Drang, von hier wegzugehen. Und selbst wenn das, was sie auf der Anderen Seite erwartete, nicht so war, wie sie es von ihrer kurzen Zeit in Freiheit her in Erinnerung hatte, würde sie dennoch wenigstens ihre eigenen Entscheidungen treffen können.
In der Tat war es ein seltsamer Fluch, geboren worden zu sein und dennoch kein Leben zu haben, das man führen konnte. Wenn sie nicht so weit ging, ihre Mutter zu töten, würde sie für immer hier festsitzen. Aber wie sehr sie die Frau auch hasste, sie würde diesen Weg nicht beschreiten. Einerseits war sie sich nicht sicher, ob sie eine solche Konfrontation gewinnen würde. Und andererseits … hatte sie sich
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