Black Jail
Hals. »Das kann ich nicht.«
»Aber Sie haben’s doch gerade getan.«
Das stimmte. So weit war er noch nie gekommen. Aber er konnte nicht wieder zurückgehen.
»Versuchen Sie’s noch mal.«
»Nein.«
»Was passiert, wenn Sie es versuchen?«
»Das wissen Sie doch. Das ist, wie wenn man versucht, mit ’nem Auto rückwärts durch ’ne Mauer zu fahren.« So hatte er es schon einmal beschrieben.
»Versuchen Sie’s. Vielleicht haben Sie ja ein paar Steine gelockert, und die Mauer bricht einfach zusammen.«
Glass bezweifelte es, aber er konzentrierte sich, stellte sich im Kopf eine Mauer vor und schlug mit einem Vorschlaghammer dagegen. Licht erschien in den Ritzen im Mörtel, aber als er erneut gegen die Mauer schlug, prallte der Hammer von den Steinen ab, und ihm wurde übel. Je fester er gegen die Steine schlug, desto übler wurde ihm. Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab, schaute sich im Büro um, in der Hoffnung, in der Vertrautheit des Raums die Antwort finden zu können.
Aber der Raum sagte ihm nichts. Es war nur ein Büro. Sauber, ordentlich.
»Schatten im Dunkeln?«, fragte ihn Riddell.
Glass hatte es ein- oder zweimal auch so erklärt. Sie konnten nicht verlangen, dass er auch noch das mit der Mauer erklärte.
»Da ist etwas, aber Sie wissen nicht, wie Sie das Licht einschalten sollen?«
Und auch so hatte er es erklärt. Unterschiedliche Bilder für verschiedene Tage. Es kam alles auf dasselbe raus. Da war etwas, das er nicht sehen konnte, und wenn er versuchte, es zu sehen, wurde ihm körperlich schlecht.
Riddell fummelte mit seinem Stift, schob ein Blatt Papier auf dem Schreibtisch herum. »Aber das war schon gut, Nick«, sagte er. »Sie haben es geschafft, die Ereignisse von Anfang bis Ende zusammenzufügen. Zweimal wäre vielleicht zu viel.«
Die Übelkeit kam wieder, und Glass schluckte. »Die Medikamente«, sagte er. Die Medikamente schalteten ihn an und aus. Manchmal zu schnell, dass er spüren konnte, wie er flackerte. Manchmal summte er beim Flackern. »Es geht mir besser. Ich brauch sie nicht mehr.«
»Wir haben Ihre Dosis schon reduziert«, sagte Riddell. »Ich werde sie noch weiter reduzieren.«
Ein scharfer Schmerz bohrte sich durch Glass’ rechte Schläfe. Er wäre gern wütend geworden, wusste, dass er es sein müsste. Er wollte keine Medikamente nehmen, sie waren gefährlich. Aber er brachte die Energie nicht auf. »Setzen Sie sie ab.«
Riddell rückte seine Brille zurecht.
Mit pochendem Kopf sagte Glass: »Ich würde mich besser erinnern, wenn ich klar denken könnte. Das weiß ich. Sie helfen nicht mehr.« Er stand auf. »Ich will keine Medikamente. Sie wissen, welchen Schaden sie anrichten können. Man wird ganz verdreht im Kopf, wenn man Medikamente nimmt.«
»Setzen Sie sich«, sagte Riddell. »Setzen Sie sich bitte, Nick. Das sind verschreibungspflichtige Medikamente, das wissen Sie. Keine illegalen Drogen, die man auf der Straße kauft, um high zu werden. Ich bin Arzt.«
»Sie sind Seelenklempner .«
»Okay. Und welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?«
Glass lachte nicht, wie es von ihm erwartet wurde. Oder wenigstens wie er glaubte, es werde von ihm erwartet. Eine flauschige Schicht hatte sich über Glass’ Gehirn gelegt. Das passierte einfach so. Eben noch war alles in Ordnung, in der nächsten Sekunde konnte er sich kaum noch an etwas erinnern. Sich zu konzentrieren, war so gut wie unmöglich. Er hatte ein Buch auf seinem Zimmer, Pilgrim … Pilgrim on the Hill , so hieß es. Er musste es wohl fünfzigmal angefangen haben und war nie über Seite zehn rausgekommen.
»Ich hab die Frage vergessen«, sagte er.
»Setzen Sie sich, Nick.«
Stand er immer noch? Anscheinend. Er legte die Hand auf die Lehne des Stuhls, rückte ihn herum, setzte sich. Er sagte nichts. Nichts zu sagen, schien eine gute Taktik zu sein.
Riddell drehte seinen Bleistift um und kratzte sich denHandrücken mit dem Radiergummi. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir noch mal auf etwas zurückkommen, worüber Sie vorhin gesprochen haben?«
»Können wir nicht weitermachen?« Glass hatte die Schnauze voll. Er hatte genug über die Vergangenheit nachgedacht. Er war seit drei Monaten hier, und jeden Tag in den vergangenen zwei Wochen hatten sie über die Scheißvergangenheit geredet. Was war falsch an der Gegenwart? Die Vergangenheit war vorbei. Niemand konnte an ihr etwas ändern. Wieso spielte es eine Rolle, ob er sich genau erinnern konnte, was passiert war oder nicht?
»Wissen Sie
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