Black Mandel
Straßenschlachten über viele Jahre hinweg. Die Stadtguerilla der Liebe hab ich das genannt. Manchmal wundere ich mich selbst, wie man nebenbei noch studieren und einen Beruf ergreifen konnte, während innerlich das Blut gespritzt hat, aber ich habe mich nie mit den Verhältnissen abgefunden. Ich habe nie aufgegeben. Und ich war nach außen auch nicht vollkommen untätig. Ich bin zum Beispiel aus der Kirche ausgetreten. Leider erst mit dreiundzwanzig, weil meine Mutter mich gebeten hatte, erst dann aus der Kirche auszutreten, wenn ich woanders gemeldet war. Denn sonst hätte der Gneissel das mitbekommen und in unserem Dorf den totalen Terror veranstaltet. Treibjagd auf die ganze Verwandtschaft, hat meine Mutter gesagt. Ich hätte mich natürlich gleich zum Studienbeginn mit neunzehn ummelden können, sobald ich von zu Hause ausgezogen war, aber das Büro im Bürgeramt, in dem man solche Abmeldungen vollzog, war nur von acht bis zehn geöffnet, und erzählen Sie mal einem Studenten, er soll von acht bis zehn irgendwo sein. Entweder ist er an der Universität oder liegt mit dem größt anzunehmenden Kater im Bett. Schließlich bin ich dann doch hingegangen, nachdem ich mit der Rosa, die im Jenseits arbeitete, die Nacht durchgemacht hatte und es vom Würschtl-Toni eh nicht mehr weit zum Amt war. Und acht war es auch schon, also kein Problem mit den Öffnungszeiten. Ich weiß noch, dass der Austritt fünfundzwanzig Mark gekostet hat, eine Unsumme für einen Studenten.
Es war längst dunkel, als ich mit Vilde, Gunarr Aasen und Håvard auf Vildes Couch saß und Kaffee trank. Der Mandel und ich trinken schon eine Menge Kaffee in unserem Büro am Nordufer, aber die Leute, die ich in Norwegen getroffen habe, waren geradezu kaffeesüchtig. Håvard hatte seinen Kopf in seinen Armen vergraben, und als er ihn hob, sah er Aasen an und sagte: »Geh weg.«
»Wie bitte?«, fragte Aasen.
»Håvard«, mahnte Vilde.
»Was hat er denn jetzt wieder?«, fragte ich.
»Ich will nicht, dass dieser scheußliche Mensch in meiner Wohnung herumsitzt«, sagte Håvard.
»Was soll der Scheiß?«, sagte Aasen, und sein Trollmund hatte sich verhärtet, seine Lippen waren wie aus Gips, furchig und starr.
»Geh in dein Zimmer, Håvard«, sagte Vilde.
»Ich geh noch kurz runter was essen, und wenn ich wieder da bin, ist der Unmensch verschwunden«, sagte Håvard.
»Lass dir ruhig Zeit«, sagte Aasen.
»Arschloch«, sagte Håvard und ging. Im Flur hörten wir noch, wie er umständlich mit einem Schlüssel hantierte, bevor er die Tür unnötig laut ins Schloss fallen ließ.
»Was hat er denn?«, fragte Aasen, und seine Lippen entkrampften sich langsam.
»Es ist nur der Beschützerinstinkt«, sagte Vilde.
»Tatsächlich?«, sagte Aasen abfällig.
»Wahrscheinlich ist es so, dass Cristian freiwillig bei Utgang war und die – in Anführungszeichen – Kreuzigung freiwillig mitgemacht hat. Und es war ja auch nicht der Sonntag, sondern schon der Freitag, wie wir jetzt wissen«, sagte ich zu Aasen, um das Thema zu wechseln. »Raske hat das irgendwie eingefädelt. War vielleicht doch nur gute Werbung für beide Parteien.«
»Ja, so ist die Welt«, sagte Aasen und wirkte, als hätte er mir überhaupt nicht zugehört. Er starrte immer noch Håvard hinterher, der längst weg war.
»Aber Cristian hasst Raske«, sagte Vilde.
»Er hat doch auch seinen Nutzen davon. Was kann beiden Bands Besseres passieren als ein Battle of Black Metal? Wer weiß, ob die Dark-Reich-Reunion sonst zündet«, sagte ich und lobte mich innerlich für das griffige Motto »Battle of Black Metal« inklusive Binnenreim. Zergeht praktisch auf der Zunge.
»Das passt aber nicht zu Cristian«, sagte Vilde, und ich dachte, bei aller Liebe, Vilde, was passt schon zu ihm, masochistischer Sänger, schwuler Schaffner und liebender großer Bruder. Aber gut, was konnte Vilde dafür. Auch andere Leute haben komische Geschwister, siehe der Mandel und sein Bruder.
»Auf jeden Fall ging es Cristian noch gut, als er bei Utgang war, denn das war letzten Freitag, also vor dem Konzert. Am Sonntag ist er ja bei bester Gesundheit in den Grieghallen aufgetreten, was Vilde, der Mandel und ich zwar leider nicht bestätigen können, aber dafür einige Tausend Fans«, resümierte ich.
»Du glaubst also nicht mehr, dass Utgang ihn entführt haben?«, fragte Aasen, der jetzt nicht mehr auf die Tür starrte.
»Ich weiß es nicht. Der Mandel ist sich ziemlich sicher, dass Utgang zwar jede Menge Flausen
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