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Black Monday

Black Monday

Titel: Black Monday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Reiss
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grauem Stein und die Eingänge bogenförmig. Pastor Van Horne hat die Kellerräume in Unterkünfte für Flüchtlingsfamilien umgewandelt. Sie schlafen auf den violetten Samtkissen, die normalerweise auf den Kniebänken in der Kirche liegen und jetzt hier unten auf dem Teppichboden ausgelegt sind.
    Sobald ich hier mit der Behandlung der Leute fertig bin, denkt Gerard, der sich gerade über einen Patienten beugt, werde ich einen Diebstahl begehen. Das habe ich seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr getan.
    »Mir geht's gut, Doc«, sagt der hustende Mann zu Gerard. Aber die Grippe setzt ihm übel zu: Er zittert am ganzen Körper und ist offenkundig dehydriert.
    »Sie haben mehr als 39 Grad Fieber.«
    »Das ist bloß eine Erkältung.«
    Die Flüchtlinge, meist Leute aus den Vororten, haben einen glasigen, schicksalsergebenen Blick. Ihre Stimmung schwankt zwischen Panik und Dankbarkeit. Die Existenz dieses kirchlichen Schutzraums ist nicht öffentlich bekannt. Andernfalls wäre er hoffnungslos überlaufen.
    Einmal täglich macht Gerard Visite in der St.-Paul's-Kirche, untersucht die Leute, lindert Schmerzen und senkt Fieber mit den letzten rezeptfreien Medikamenten, die vergangene Woche zugeteilt worden sind. Heute hat er außerdem Nudeln aus den Vorräten der Marion Street als Spende mitgebracht.
    »Sie haben ja gar nichts gegessen«, sagt Gerard vorwurfsvoll. Die Augen des Kranken sind gerötet, er leidet an Zahnfleischschwund, und die Haut am Hals ist schlaff.
    »Sehr witzig. Meine Exfrau hat immer gesagt, ich würde zu viel essen. Auf jeden Fall brauchen meine Kinder jetzt die Lebensmittel.«
    »Was für einen Job hatten Sie vor Delta-3?«
    Der Mann sieht ihn verwundert an. »Außenministerium. Ich war für die Sahelzone zuständig«, erwidert er voller Stolz bei der Erinnerung an seine wichtige Aufgabe.
    Gerard riecht den Schweiß, die nicht gewechselten Kleider und die Ausdünstungen von sechsunddreißig Menschen, die nur einmal pro Woche in den Genuss einer – kalten – Dusche kommen.
    Zu dem Mann sagt er: »Ich habe selbst in den Dürregebieten Afrikas gearbeitet. Wir beide wissen ganz genau, was mit den Kindern passiert, wenn die Eltern sterben.«
    Die Lippen des Mannes verziehen sich zu einer trotzigen, dünnen Linie.
    »Washington ist nicht Afrika.«
    »Aber Washington ist nicht mehr, was es war.«
    »Sie haben doch gehört, was der Präsident gesagt hat«, erwidert der Mann ergeben. »Haltet noch ein paar Tage durch. Jemand wird herausfinden, wie wir Delta-3 besiegen können.«
     
    Draußen, wo Gerard sich auf den Diebstahl vorbereitet, strahlt die Sonne von einem blauen Himmel. Auf dem Rasen zwischen Kirche und Feuerwehrhaus, einer Freifläche, die von vielen Wohngebäuden aus einsehbar und daher ziemlich sicher ist, wird gerade der dienstägliche Tauschmarkt eröffnet. Die Menschen bringen alles mit, was sich zum Tausch oder Verkauf anbieten lässt. Sie breiten Decken aus und verteilen ihre Habseligkeiten darauf, während Marisa drinnen in der Kirche ihren Unterricht abhält.
    Anwälte werden zu Marktschreiern.
    »Kichererbsen! Gemüsesuppen! Ich biete auch Toilettenpapier!«
    »Glühbirnen! Taschenlampen! Kerzen! Batterien!«
    Normalerweise wäre eine solche Szenerie ein Vergnügen, ein Paradies für Schnäppchenjäger. Doch die wachsende Verzweiflung und die drohende Not lassen sich nicht überspielen.
    Gerard betrachtet das Angebot. Alle außer den Schwarzmarkthändlern sind knapp an Lebensmitteln, aber eine ganze Reihe von Leuten – Sammler, Hamsterer oder diejenigen mit Beziehungen – scheinen über Vorräte an speziellen Waren zu verfügen.
    Wer darauf vertraut, dass die Krise nur vorübergehend ist, bietet lebenswichtige Dinge zu Fantasiepreisen an, tauscht Lebensmittel gegen Schmuck, Campingartikel gegen Kunstwerke, Medikamente gegen Stereoanlagen, Besteck, Ledersofas. Pessimisten bezahlen jeden Preis für die Dinge, die sie benötigen. Gerard entdeckt die Stewardess Julie, die gerade dabei ist, von einem Einkaufswagen alles Mögliche abzuladen: Kopfschmerztabletten, Damenbinden, Spezialwerkzeug, Kirkland Cola und zwei große Gläser Mayonnaise. Gleich nebenan tauscht Les Higuera seinen Fernseher mit 42-Zoll-Flachbildschirm gegen dicke Winterhandschuhe und eine kleine, mit gefrorenem Hackfleisch gefüllte Kühlbox.
    »Zumindest hoffe ich, dass es Hackfleisch ist«, sagt er zu Gerard.
    Ein Satz nagelneuer Michelin-Rennreifen geht für fünfundzwanzig Dollar an einen elegant gekleideten Mann und

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