Black Monday
ehe die Menschen nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist.«
Damit geht meine letzte Chance zum Teufel, noch Agenten zugeteilt zu bekommen. Ich werde niemanden mehr davon überzeugen können, sich um die Ölflüssigkeitenhersteller zu kümmern.
Die U-Bahn ist gedrängt voll. Seit einigen Tagen wird sie immer verdreckter, es stinkt nach Schweiß, Abfällen, Verzweiflung. Menschen, die ihre Koffer umklammern, hetzen Richtung Innenstadt. Aber die Flughäfen sind geschlossen. Einige sind allein unterwegs. Welches Ziel haben sie? Es ergibt keinen Sinn.
Gerard fragt einen Mann mit Rucksack, wo er hin will.
»Meinen Sohn besuchen«, antwortet der Mann etwas zu hastig. »In New York. Gott sei Dank sind die Züge elektrisch betrieben.«
Als Nächstes erkundigt sich Gerard bei einer Frau, die prompt rot anläuft.
»Einkaufen. Mein Koffer ist leer. Ich brauche ihn, um meine Einkäufe zu transportieren.«
»Aber wo wollen Sie denn einkaufen? Die Geschäfte sind doch alle geschlossen«, will Annie wissen.
Die Frau wirft ihr einen wütenden Blick zu. »Diese Fragerei gehört sich nicht.«
Annie blickt ihr direkt in die Augen.
»Lügen auch nicht«, erwidert sie, und Gerard muss sich ein Grinsen verkneifen.
Die U-Bahn fährt in den Bahnhof Cleveland Park ein, wo es früher von Zoobesuchern und Touristen nur so wimmelte. Heute jedoch sind Gerard und Annie die einzigen Fahrgäste, die aussteigen. Der lange Bahnsteig ist leer. Das Geräusch ihrer Schritte hallt von der Gewölbedecke wider.
»Pakistan: Mehrere Atomraketen gelten seit dem Staatsstreich der Fundamentalisten in der vergangenen Woche als verschwunden«, sagt der Nachrichtensprecher. »Es wird befürchtet, dass die Raketen in die Hände von Terroristen gelangen könnten.«
Als sie sich dem Zwischengeschoss nähern, vernehmen sie ein Stimmengewirr und plärrende Radios. Ein Mann singt »Fool on the Hill«. Der Fahrkartenschalter kommt in Sichtweite und damit eine Szene wie beim London Blitz: Menschenschlangen, die entlang der Wände sitzen, schlafen oder ihre kargen Rationen essen.
Annie sagt: »Für die Gepardenbabys haben sie schon wieder die Futterrationen gekürzt.«
Wie schaffen sie es, Tiere zu füttern, wenn es nicht einmal genug für die Menschen gibt?
Ein kleines Mädchen ruft ihr zu: »Meine Dame, haben Sie was zu essen übrig?«
»Mich hat noch nie jemand Dame genannt«, erwidert Annie trocken.
In diesem Moment fängt eine Frau auf dem Bahnsteig an zu kreischen.
»Ein Wolf! Ein Wolf!«
Die Menschen springen auf.
Gerard wirbelt herum. Er kann es nicht glauben. Das Tier steht am anderen Ende des Zwischengeschosses. Zu groß für einen Hund, grau, Schaum vorm Maul, zitternd, den Schwanz eingezogen, gegen die Wand gedrückt. Sein Kopf bewegt sich hin und her, während er den Blick von der Rolltreppe zu der Menschenmenge schweifen lässt. Es hat genauso viel Angst vor den Menschen wie diese vor ihm.
Der Wolf blutet. Er hinkt. Kann es sein, dass er angeschossen wurde?
Über ein Megafon kommt von oben die Aufforderung: »Bewahren Sie Ruhe!«
Das gibt den Ausschlag. Die Menge stürmt in Richtung Ausgang. Gerard ergreift Annies Arm, doch schon werden sie von dem panischen Strom mitgerissen. Sie bahnen sich den Weg zur Rolltreppe, die sie an die frische Luft bringt. Oben im strahlenden Sonnenschein angelangt, kommen ihnen SWAT-Leute in schwarzer Uniform entgegen, die hinunter in den U-Bahnhof rennen.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, ruft der Mann mit dem Megafon zum wiederholten Mal.
Gerard zerrt Annie auf die kalte Straße. Die Menge hier oben vor dem Zoo ist noch größer, vor sich sehen sie die Löwenstatuen, die amerikanische Flagge, Mannschaftsfahrzeuge der Polizei und bewaffnete Polizisten.
»Wir gehen nach Hause«, sagt er zu Annie.
»Aber die Gepardenbabys, Daddy!«
Es war völlig verrückt, sie auf diese Weise ablenken zu wollen.
Wie zur Bestätigung fallen Schüsse in der Connecticut Avenue, aus der Richtung, in die sie gerade gehen wollten. Schüsse aus Automatikgewehren, wie er sie in der Dritten Welt oft genug gehört hat.
Wie viele Wölfe wohl entwischt sind? Und wie war das möglich?
Aus erregten Gesprächsfetzen, die wie Schlagzeilen klingen, versucht er sich ein Bild zu machen.
»Gestern Abend sind Leute in den Zoo eingebrochen, von der Rückseite aus.«
»Ich wette, sie haben Tiere gestohlen, um sie zu schlachten oder zum Essen zu verkaufen.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, blafft die Megafon-Stimme.
Und dann ein
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