Black Monday
Dezember. Vormittag. 35 Tage nach dem Ausbruch.
Gerard brennt darauf, sich die Fabrik anzusehen, aber die Laboranten sind inzwischen so verängstigt, dass er gezwungen ist, im Labor zu bleiben, und das nach einer schlaflosen Nacht im Gästehaus. Gerard muss die gestellten Fragen ernst nehmen, schließlich sollen sie ihm glauben, dass seine Anwesenheit daher rührt, dass er um die Gesundheit von Menschen besorgt ist.
»Dr. Gerard, ich hatte im April auch einen juckenden Hautausschlag am Arm. Interessieren Sie sich wirklich nur für die Wanderröte?«
»Dr. Gerard, als ich in Peru war, hatte ich zwar kein hohes Fieber, aber monatelang erhöhte Temperatur.«
»Nur hohes Fieber ist in diesem Fall von Bedeutung«, antwortet er.
Varunisakera bleibt immer in der Nähe, hört sich an, wie Gerard die Leute beruhigt, und vertrödelt so noch mehr Zeit. Jedes Mal wenn sein Handy klingelt, fürchtet Gerard, es könnte jemand aus Washington sein. Jedesmal wenn Varunisakeras Handy klingelt, fürchtet er, dass man ihm auf die Schliche gekommen ist.
Jetzt fragt einer der Chemiker seine Kollegen: »Hey, erinnert ihr euch noch an diesen Virus, der vor ein paar Monaten hier im Labor rumgegangen ist und den wir nicht identifizieren konnten?«
Noch fünf Minuten, dann werde ich mir irgendeinen Vorwand einfallen lassen und in die Fabrik rübergehen. Ich kann nicht riskieren, dass Varunisakera Verdacht schöpft, aber wenn das so weitergeht, bin ich hier noch tagelang beschäftigt.
Die Chemiker und Laboranten tauschen Geschichten aus und prahlen mit Krankheiten, die sie sich im Einsatz in Katastrophengebieten zugezogen haben.
»Im Sudan hab ich jeden Tag eine Spritze gegen Leishmaniose gekriegt – die haben vielleicht wehgetan!«
»Hat schon mal jemand Schmeißfliegen gehabt? Die Biester sind mir aus dem Kopf gekrochen!«
»Ich könnte mich heute noch über Lyle amüsieren«, sagt jemand.
Alle lachen. Die meisten kennen die Geschichte schon.
»Der gute alte Lyle. Kriegt zweimal die Taucherkrankheit und reißt sich immer noch um Aufträge. Einfach irre.«
Moment, denkt Gerard, plötzlich hellhörig geworden. Die Taucherkrankheit befällt Tieftaucher, wenn sie zu schnell nach oben kommen und sich in ihrem Blut Stickstoffblasen bilden. Was hatte ein Forscher von Cougar im Meer zu suchen?
»Lyle ist Taucher, nehme ich an?«, sagt Gerard.
Der Mann, der ihn auf Borreliose angesprochen hat, antwortet: »Dr. Samuelson hat hier vor sechs, sieben Jahren an rekombinanter DNA gearbeitet. Es muss die Firma Millionen gekostet haben, ihn rund um den Globus zu schicken und ihn in Tiefseeschloten nach unbekannten Lebensformen forschen zu lassen.«
Gerards Herz erhöht deutlich die Schlagzahl.
In diesen Schloten existieren die hitzeresistentesten Bakterien der Welt.
»Hat Lyle denn irgendwas Brauchbares gefunden?«
»Na ja, Lyle hatte seine Theorien über ganze Welten unentdeckter Mikroben. Tiefe Biosphäre und so weiter. Er war davon überzeugt, dass Milliarden unbekannter Spezies da unten nur darauf warteten, entdeckt zu werden. Aber eigentlich brauchte er nur einen Vorwand, um zu tauchen.«
Ein paar Leute kichern in sich hinein.
»Ich habe damals noch nicht hier gearbeitet«, sagt Dr. Varunisakera.
Gerard lässt nicht locker. »Er ist selbst getaucht? Liegen diese Schlote nicht viel zu tief, als dass ein Taucher sie erreichen könnte? Und sind sie nicht viel zu heiß?«
»Manchmal ist er in einem Mini-U-Boot getaucht und hat die Proben in kühlerem Wasser in einiger Entfernung von den Schloten gesammelt. Manchmal ist er aber auch einfach nur in Ausrüstung runter und hat gewartet, bis die Roboter zurückkamen. Dem war jeder Vorwand recht, Hauptsache, er konnte im Wasser sein.«
»Wo ist Dr. Samuelson jetzt?«, fragt Gerard.
»Er hat sich eine Abfindung zahlen lassen, als das Unternehmen verkauft wurde, und ist wieder nach Massachusetts gezogen. Wie ich gehört habe, baut er jetzt Kajaks und lebt allein. Auf E-Mails kam keine Antwort. Irgendwann haben wir unsere Kontaktbemühungen aufgegeben.«
Gerard wirft einen Blick auf die Liste der derzeitigen und ehemaligen Beschäftigten und entdeckt den Namen sowie die Sozialversicherungsnummer. Von der Herrentoilette aus ruft er Raines in Fort Detrick an.
»Wo sind Sie, Chef?«
»Zu Hause«, lügt er, denn jeder, der seine Reise deckt, verstößt ebenfalls gegen das Gesetz und riskiert, verhaftet zu werden.
»Sie werden nicht glauben, was heute gemeldet wurde. Kannibalismus, Chef. In
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