Black Rabbit Summer
gab es nur eine |326| rationale Erklärung dafür – dass Campbell und Nic doch eine direkte Beziehung miteinander haben mussten. Aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Nic hatte Wes Campbell nie ausstehen können. Er verkörperte alles, was sie hasste. Er war brutal, geistlos und unkünstlerisch. Ihm fehlte jede Anmut. Er war der Letzte, mit dem Nic gern etwas zu tun hätte. Deshalb war der Gedanke, dass die beiden etwas teilten, womöglich auch noch etwas irgendwie Intimes...
Nein.
Das ergab keinen Sinn.
Schließlich gab ich es auf, darüber nachzudenken, und zwang meine Konzentration stattdessen auf etwas, das ich in den letzten paar Minuten angestarrt hatte – eine Reihe von Goldkettchen, die an einem Haken über Nics Frisiertisch hingen. Es waren viele, mindestens ein Dutzend oder so, und sie waren nicht alle gleich. Sie hatten unterschiedliche Längen, unterschiedliche Formen und waren unterschiedlich stark. Keine von ihnen war gerissen, sie sahen auch alle ziemlich normal aus – im Großen und Ganzen wie jedes schlichte Goldkettchen –, aber es gab keinen Zweifel, dass einige sehr dem Stück glichen, das Barry mir auf dem Polizeirevier gezeigt hatte... die gerissene Kette, die in Stellas Hosentasche gefunden worden war. Nicht den geringsten Zweifel. Und jetzt erinnerte ich mich an etwas, oder zumindest
glaubte
ich, mich an etwas zu erinnern... es war schwer, den Unterschied festzustellen. Ich wusste nicht, ob die aufflackernde Erinnerung, die ich plötzlich vor Augen hatte, wirklich eine Erinnerung an Nicole am Samstagabend war – mit einem dünnen Goldkettchen um den Hals... keine Ahnung, ob es eine echte Erinnerung war, etwas, das ich wirklich gesehen hatte, oder ob ich es mir nur einbildete.
|327| Weil ich Verbindungen schaffen wollte.
Eine Goldkette, die an einem blassen Hals schimmerte...
Ich hielt es nicht länger in Nics Zimmer aus. Es war zu verwirrend, es machte mich verrückt. Ich musste raus. Und als ich ging, sagte ich mir, es sei nicht nur Zeit, Nics Zimmer zu verlassen, sondern das ganze Haus.
Verschwinde hier. Geh nach Hause. Dieser Ort treibt dich in den Wahnsinn. Und davon abgesehen werden Nic und Eric bald hier sein. Verdammt, was willst du ihnen sagen, wenn sie dich hier finden?
Doch als ich Nics Zimmer verließ und durch sonnenbeschienene Staubflusen den Flur entlanglief, wusste ich, dass ich nicht gehen würde. Es war, als hätte ich bereits gesehen, wie ich vor Erics Zimmer stehen blieb, die Tür öffnete und hineinging. Und weil ich es bereits getan hatte, lag es nicht in meiner Macht, mich davon abzuhalten. Ich musste es tun. Meine Zukunft war vorherbestimmt. Und man kann schließlich nicht mit seiner Zukunft herumstreiten, oder?
Erics Zimmer stank nach Zigarettenqualm. Es roch aber auch noch nach etwas anderem, irgendwas, das mich an etwas erinnerte, doch der Zigarettenqualm war so übermächtig, dass ich unmöglich feststellen konnte, was es war. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass es sich um einen menschlichen Geruch handelte, einen Körpergeruch, den Geruch von jemand anderem, und als ich hinüber zu Erics Bett sah, begriff ich, dass ich wahrscheinlich recht hatte. Es war ein Doppelbett und es war nicht gemacht. Auf beiden Seiten lagen Kissen und ich erkannte auch zwei eindeutige Abdrücke in |328| der Matratze. Zwei Leute hatten dort geschlafen. Der auf der rechten Seite hatte einen nur zur Hälfte gerauchten Joint und eine offene Dose Bier auf dem Nachttisch zurückgelassen. Auf dem anderen Nachttisch lag ein Taschenbuch
(Les Fleurs du Mal)
, daneben standen ein Glas Wasser und ein überquellender Aschenbecher.
Das musste Erics Seite gewesen sein.
Ich überlegte, wer wohl den Abdruck auf der anderen Seite hinterlassen hatte. Ein langjähriger Freund? Ein One-Night-Stand? Ein mysteriöser Typ Mitte zwanzig, von dem, wenn es nach Eric ging, niemand erfahren sollte?
Ich schaute mich im übrigen Zimmer um. Es war nicht so chaotisch wie bei Nic – und ich sah, dass auch Eric offenbar noch nicht mit dem Packen begonnen hatte –, doch es war trotzdem noch ziemlich unordentlich bei ihm. Es gab einen Computertisch, jede Menge Bücher, einen Fernseher und einen DV D-Spieler . Kleidung lag auf dem Boden, weitere Anziehsachen waren ordentlich in einem offen stehenden Kleiderschrank verstaut. An der Wand hingen gerahmte Kunstdrucke, von denen ich einige erkannte – Matisse, Picasso, Kandinsky – und viele nicht. Und es gab einen Frisiertisch, genau wie bei Nic. Nur
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