Black Rabbit Summer
vor.«
Ich rückte von ihr weg.
Sie hörte auf zu grinsen und ihr Blick gefror. »Verdammt, was ist los mit dir? Ich meine,
Herrgott
noch mal.«
»Hör auf, Nic«, sagte ich und streckte die Hand aus, um sie zu beruhigen. »Kein Grund, wütend zu werden...«
Sie schlug meine Hand weg.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hab nur versucht –«
»Arschloch«, fauchte sie.
Darauf gab es nicht viel zu antworten, deshalb saß ich bloß da und ließ sie mich anstarren. Ihr Gesicht hatte sich jetzt völlig verändert. Es wirkte tot, kalt, stahlhart. Die zuvor leuchtende Haut schien jetzt stumpf und blass. Und die Augen waren schwarz vor Wut.
»Macht dir das Spaß, ja?«, fragte sie böse.
»Bestimmt nicht.«
»Mich zu demütigen?«
»Das wollte ich nicht.«
|89| »Mir das Gefühl zu geben, eine Hure zu sein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Hör zu, Nic, tut mir leid. Ja? Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, wie du dich fühlen musst –«
»Du hast keine Ahnung, wie ich mich
fühl
.«
Sie schob sich von mir weg, stieß mir hart gegen die Brust und ich konnte nichts weiter tun als dasitzen und zugucken, wie sie ihre Sachen aufhob und sich wieder anzog. Sie taumelte jetzt quer durch die Hütte, hüpfte auf einem Bein, um in die Jeans zu kommen, fiel beinah hin...
»Kannst du jetzt mal weggucken?«, sagte sie und starrte mich über die Schulter an.
Ich senkte den Blick.
»Verdammt«, hörte ich sie murmeln.
Ich starrte zu Boden, betäubt und verwirrt, und wusste nicht, was ich denken oder tun sollte. In meinem Kopf drehte sich alles, mein Schädel zog sich zusammen... ich war nirgends. Und ich verstand nicht, wieso. Ich starrte bloß zu Boden, verstand nichts, war zu gar nichts mehr fähig.
Ich hob den Blick nicht wieder, bis ich Nicole fluchen und eine leere Flasche aus dem Weg treten hörte, auf dem Weg zur Tür. Als ich aufsah, blieb sie für einen Moment stehen, fummelte etwas aus ihrer Hosentasche und warf es mir zu. Es landete auf dem Boden vor meinen Füßen – eine Packung Kondome.
»Viel Vergnügen«, sagte sie kalt.
Ich sah zu ihr hoch.
Sie wandte sich ab und duckte sich unter der Tür durch.
»Kommst du zurecht?«, fragte ich.
»Was kümmert dich das?«
»Ich kann dich den Weg entlang begleiten, wenn du willst...«
|90| Sie lachte, ein verächtliches Schnauben, dann war sie weg. Ich horchte auf ihre wütenden Schritte, wie sie die Böschung hinabstampften und kurz stolperten, doch nach einer Weile verloren sie sich und es war nichts mehr zu hören außer der Stille der Nacht und dem Seufzen meines eigenen dummen Herzens.
|91| Sechs
D anach wollte ich eigentlich gar nicht mehr auf die Kirmes – ich wollte
überhaupt nichts
mehr. Andererseits hatte ich aber auch keine Lust, nach Hause zu gehen, und ich wusste, wenn ich blieb, wo ich war, allein in dieser vergällten Stille, und versuchte, mich in eine Zeit und an einen Ort zu denken, wo nichts passiert und alles noch in Ordnung war... das wäre völlig aussichtslos. Es
war
was passiert.
Nichts
war mehr in Ordnung. Und wenn ich vergeblich versuchte, mich wegzudenken, würde ich bloß irgendwann anfangen zu heulen.
Warum, wusste ich nicht.
Weil ich ein Idiot war?
Weil ich alles falsch verstanden hatte?
Weil ich versucht hatte, alles richtig zu machen?
Ich hatte keine Ahnung.
Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich nicht einfach dasitzen und mich bemitleiden konnte – ich musste irgendwas
tun
. Und das Einzige, was mir einfiel – das Einzige, das irgendwie Sinn ergab –, war, auf die Kirmes zu gehen und nach Raymond zu suchen.
Ich trank einen letzten Schluck Tequila, schüttelte mich und musste husten, danach stand ich auf und ging.
|92| Auf dem Weg war es gar nicht so dunkel, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Nachthimmel zeigte sich zwar sternenlos und schwarz, auch der Mond war nirgends in Sicht, aber es drang genügend Helligkeit über das Brachfeld, um zu sehen, wo ich ging. Es war ein eigenartiges Licht – eine verschwommene Mischung aus fernen Straßenlaternen, vorbeigleitenden Autoscheinwerfern aus den Straßen am Hafen und einem gedämpften Schein aus der Greenwell-Siedlung auf der andern Seite des Flusses –, und alles um mich herum schien in einem unnatürlich trüben Leuchten zu erzittern. Die Gastürme glänzten schwarz. Meine Turnschuhe waren knallweiß. Die Mauer des Fabrikgebäudes oben auf der Böschung schimmerte in einem monotonen Graugün wie der gedämpfte Schein eines leeren Fernsehschirms.
Ich
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