Black Rabbit Summer
richtig harter Kerl, aber es wirkte nicht sonderlich überzeugend. Genau genommen wirkte gar nichts an ihm überzeugend. Ich verstand nicht, wieso er mich anlog, aber ich wusste, dass er es tat. Es gab keine andere Erklärung. Morgens um drei war ich schließlich
dort
gewesen. Ich hatte auf der Treppe vor dem Haus gesessen, verdammt noch mal.
|168| »Wie auch immer, Pete«, sagte er plötzlich eilig, »ich mach jetzt mal Schluss. Wenn Nic nach Hause kommt, sag ich ihr, sie soll dich anrufen, okay?«
»Ja... okay...«
Ich versuchte noch immer zu verstehen, wieso er log und wieso er so merkwürdig klang – im einen Moment nervös, im nächsten harsch und abweisend. Es schien fast so, als ob er zwei völlig verschiedene Menschen wäre.
»Bis später, Pete.«
»Warte mal, Eric«, sagte ich, »bevor du auflegst... hast du Paulys Nummer?«
»Was?«
»Paulys Handynummer.«
»Wozu willst du seine Nummer?«
Jetzt war er wieder der harsche Eric.
Ich sagte: »Ich will ihn nur anrufen, um ihn nach Raymond zu fragen.«
»Pauly wird dir bestimmt nichts sagen können.«
»Woher willst
du
das denn wissen?«
»Also... dann hätte er doch was gesagt, oder? Ich meine, wenn er Raymond gesehen hätte...« Erics Stimme verlor sich und ich hatte das Gefühl, er suchte nach den passenden Worten. »Ich hab seine Nummer sowieso nicht«, sagte er brüsk. »Ich meine, wieso sollte
ich
Paulys Nummer haben?«
»Was ist mit Nic?«, fragte ich. »Sie muss Pauly doch angerufen haben, um ihm wegen Samstagabend Bescheid zu sagen.«
»Hör mal, ich muss jetzt wirklich Schluss machen, ja?«
»Schon, aber –«
»Ich muss jetzt echt...«
»Na gut... Aber wenn du Raymond siehst –«
|169| »Lass ich’s dich wissen.«
Er legte auf.
Einen Moment lang starrte ich auf das Telefon in meiner Hand und versuchte mir Erics Gesicht vorzustellen – herauszufinden, wieso er mich anlog, wieso er so merkwürdig klang –, doch ich kam nicht weiter, ich fand nichts. Kein Gesicht, keine Antworten. Allerdings hatte ich mir Erics Gesicht immer schon schwer vorstellen können, deshalb hatte es vielleicht nicht viel zu bedeuten. Ich will damit nicht behaupten, dass man Eric leicht
vergessen
kann oder so, denn das stimmt nicht. Ehrlich gesagt ist Eric für viele Leute absolut unvergesslich. Er ist stolz, hat starke Prinzipien, ist selbstsicher, reif... du weißt schon, so einer, der an sich
glaubt
. So ist er immer gewesen, schon als Kind. Immer wirkte er ein kleines bisschen älter als wir andern, ein kleines bisschen größer... ein kleines bisschen erwachsener. Er war so ein Junge, der Furzen nun mal nicht für das Lustigste auf der Welt hielt. Ein Junge, der nicht ständig
verlegen
war. Ein Junge, der sich schon mit vierzehn einen Bart hätte stehen lassen können.
So war Eric.
Und ich hab es immer schwer gefunden, mir solche Leute vorzustellen.
Ich hab es auch immer schwer gefunden, sie zu mögen, und als ich mein Handy zuklappte und hinüber ans Fenster trat, ertappte ich mich dabei, wie ich mich fragte, ob ich überhaupt je etwas an Eric gemocht
hatte
. Ich war mir ziemlich sicher, dass es irgendetwas gegeben haben musste... ich meine,
irgendwas
muss doch eine Freundschaft ausmachen, oder? Aber das Einzige, was mir in dem Moment einfiel – das Einzige, das mir an Eric gefallen hatte –, war Nicole.
|170| Ich stand noch eine Weile am Fenster und versuchte, an nichts zu denken, einfach nur auf die Straße zu starren, auf die Häuser, die abgestellten Autos, den Himmel. Alles war so vertraut, dass es völlig bedeutungslos wirkte. Raymonds Haus sah genauso aus wie immer – dunkel und trist im Licht der Morgensonne, die Vorhänge geschlossen, der Platz vorn zugestellt mit lauter Gerümpel...
Ich wusste, ich musste dorthin zurück.
Ich
wollte
nicht.
Das Einzige, was ich wollte, war mich aufs Bett legen und schlafen. Einfach daliegen, die Augen schließen, aufhören zu denken, aufhören, an Raymond und Stella und Eric und Nicole zu denken... bloß einschlafen und alles vergessen.
Irgendwas ließ mich auf einmal zu dem schwarzen Porzellankaninchen hinüberschauen und für eine Sekunde glaubte ich, eine Kirmesorgel spielen zu hören, und irgendwo in der Ferne erklang das Lachen von Kindern...
In jeder Sekunde eines jeden Tages entscheiden wir uns, welchen Weg wir gehen...
Eine flüsternde Stimme.
Bring mich nach Hause.
Ich blinzelte und plötzlich war alles wieder still. Keine Stimmen, keine Musik, kein Kinderlachen. Es gab nur mich und
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