Black Rabbit Summer
meine, es war ja nicht so, dass ich mir diese Lage selbst ausgesucht hatte, und außerdem gab es weitaus
Sinnvolleres
, das ich anstelle dieses verschwommenen Gefühls von irrationaler Peinlichkeit hätte empfinden können.
Oder vielleicht doch nicht?
Vielleicht passiert genau das, wenn du glaubst, dass du sterben musst – du konzentrierst dich auf die Nebensächlichkeiten, um dich von dem Entsetzlichen abzulenken. Du denkst an Peinlichkeit statt an Schmerz. Du konzentrierst |247| dich auf die fleckenlose weiße Jeans deines Mörders statt auf die Tatsache, dass er dich würgt. Du riechst seinen Duft, ein süßes, dunkles Parfüm, und du fragst dich, wo du es schon mal gerochen hast...
Du denkst an die Dunkelheit, die dich umschließt...
Die Dunkelheit.
Die Sterne...
Gehen aus.
Dunkle Stille.
Weiße Ebenen.
Die Schwärze...
Sie war jetzt überall.
Hey!
Es war ein angenehmes Gefühl... wie in einer Lichtblase zu sitzen...
Boland?
... in einer Art primitivem Bewusstsein...
Hey, Boland!
Jemand schüttelte mich, schüttelte das Leben in mich zurück und ich hörte eine ferne Stimme im Himmel.
»Hörst du mich, Boland?«
»Du-uh...«
Ein Flüstern.
»Guck mich an.«
Ich öffnete die Augen. Ich lag auf dem Boden zu Campbells Füßen – lag auf dem Rücken und schaute zu ihm hoch. Meine Kehle schmerzte. Mein Nacken schmerzte. Die Sonne strahlte zu hell.
»Guck mich an.«
Ich setzte mich auf und sah ihn an. Sein Gesicht war verschwommen, kalt und wie aus Wachs.
|248| »Nächstes Mal lass ich nicht wieder los«, sagte er. »Hast du verstanden?«
Ich nickte und zuckte von dem Schmerz in meinem Nacken zusammen.
Campbell hockte sich vor mir nieder und stierte mir in die Augen. »Keine weiteren Fragen, okay? Du weißt nichts. Du hast nichts gesehen. Und das hier ist nie passiert.« Er streckte seine Hand aus und hob behutsam mein Kinn an. »Hörst du?«
»Ja.«
»Gut.«
Er ließ mein Kinn los und tätschelte meine Wange, dann stand er auf und ging.
|249| Siebzehn
A uf dem Weg nach Hause wurde mein Hals immer steifer und jedes Mal, wenn ich einatmete, hörte ich ein merkwürdiges Kratzgeräusch in der Kehle. Auch mein Kopf tat weh und ich sah lauter Lichter in den Augen – kleine aufblitzende Lichter wie winzige Sterne. Trotzdem ging es mir gemessen an dem, was Campbell mir gerade angetan hatte, gar nicht so schlecht.
Körperlich jedenfalls.
Psychisch war ich am Ende.
Zunächst einmal hatte ich ganz einfach Angst – und wenn ich Angst sage, dann meine ich
richtige
Angst. Eine Angst, die mich innerlich zittern ließ.
Alles in Ordnung
, versuchte ich mir einzureden.
Kein Grund zur Aufregung. Das ist nur eine verspätete Reaktion, eine Art Nachbeben der Gefühle
...
das ist eine völlig normale Reaktion.
Aber es wirkte überhaupt nicht völlig normal – es wirkte, als ob ich mich nie im Leben wieder normal fühlen würde.
Und denken konnte ich auch nicht. Irgendwie schien ich nichts mehr im Kopf auf die Reihe zu bringen. Die Gedanken waren zwar da – Gedanken, Erinnerungen, Fakten, Gefühle –, aber ich wusste nichts mit ihnen anzufangen. Sie kreisten einfach summend in meinem Kopf, doch jedes Mal, wenn ich |250| einen Gedanken festzuhalten versuchte, hatte ich nur einen Haufen Nichts in der Hand.
Ich konnte nicht logisch denken.
Ich konnte keine Verbindungen herstellen.
Ich hatte Fliegen im Kopf.
Und Lichter in den Augen.
Du weißt nichts. Du hast nichts gesehen...
Nächstes Mal lass ich nicht wieder los.
Die Luft war zu heiß zum Atmen.
Als ich am Ende des Dreckswegs ankam und gerade zur Hythe Street hinüberwollte, hatte ich plötzlich das Gefühl, die aufblitzenden Lichter in meinen Augen hätten den Turbo eingeschaltet, und ich überlegte kurz, ob ich wieder ohnmächtig würde, doch dann merkte ich, dass die Lichter, die ich jetzt sah, nicht weiß waren, sondern blau, und es waren auch keine, die nur ich sehen konnte...
Es waren die aufblitzenden blauen Lichter eines Polizeiwagens.
Es handelte sich sogar um zwei Polizeiwagen und beide standen an der Ecke neben der Schranke zum Fluss. Als ich die St Leonard’s Road überquerte und die Hythe Street hinaufging, sah ich unten auf der Straße noch mehr Blaulichter. Ein Polizist in Uniform zog ein Absperrband über die Straße und versuchte, die anwachsende Zuschauermenge zurückzuhalten. Andere Beamte liefen um die Fahrzeuge herum und sprachen in ihre Funkgeräte. Aus der Ferne nahm ich vage ein Heulen von Polizeisirenen und das
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