Black Rabbit Summer
unterdrücken.
Als wir auf die Glastüren zugingen, sah ich, wie Mum sich ebenfalls abmühte, keine Miene zu verziehen, und einen Moment lang schien alles gut. Mum war wieder Mum – die Mum, die ich kannte. Die Mum, die mich über Dinge lachen ließ, über die ich wirklich nicht hätte lachen sollen – zum Beispiel über Männer mit schlecht sitzendem Toupet, Frauen in scheußlichen Klamotten oder streng wirkende Polizisten mit einer Mickymausstimme –, und ich wusste, wenn ich sie in diesem Moment angeguckt hätte, hätten wir beide angefangen zu kichern wie blöde. Und das hätte mir gut gefallen. Aber gerade als ich sie anschauen wollte, fiel mir etwas anderes ins Auge.
Die Glastüren hatten sich geöffnet und vier Gestalten betraten den Eingangsbereich. Zwei von ihnen waren Polizisten in Uniform, die anderen zwei waren Eric und Nic.
Sie wirkten beide blass und ängstlich – die Köpfe nach unten geneigt, den Blick besorgt zu Boden gerichtet – und zuerst bemerkten sie mich nicht. Sie wurden zu dem Empfang links von uns geführt, während wir in die entgegengesetzte Richtung zum Ausgang liefen, und für kurze Zeit sah es so aus, als ob mich Eric und Nic gar nicht mehr sehen würden. Was für mich in Ordnung gewesen wäre, weil ich keine Ahnung hatte, was ich tun würde, wenn sie mich
doch
sahen. |315| Sollte ich mit ihnen reden? Durfte ich überhaupt mit ihnen sprechen? Was sollte ich sagen?
Aber gerade als ich darüber nachdachte, sah ich, wie Nic den Kopf hob und zu uns rüberschaute. Sie riss die Augen auf, als sie mich plötzlich erkannte, und fast im selben Moment spürte Eric ihre Reaktion und sah auch zu mir rüber. Ich lächelte verlegen und nickte ihnen zu. Nic lächelte zurück – ebenso verlegen –, doch Eric war viel zu angespannt, um zu lächeln. Er starrte mich nur an und in seinen Augen brannten stumme Fragen:
Was hast du ihnen gesagt? Hast du ihnen von mir erzählt? Hast du ihnen gesagt, dass ich dich angelogen hab?
Die Eindringlichkeit seines Blicks bohrte sich für einen Moment in mich hinein, und als ich zurückstarrte, schien sein Gesicht die Herrschaft über mich zu gewinnen. Es war das Einzige, was ich noch sah. Erics Gesicht. Es gab nichts anderes mehr. Und während ich in sein Gesicht starrte, sah ich, wie es sich wieder veränderte – schimmerte, schmolz... wie sich die Züge verwandelten und die schöne Hässlichkeit zu irgendwas anderem verschwamm. Nur diesmal war es nicht Nics Gesicht, das aus dem Schimmer hervortrat, sondern eine viel knochigere Vision. Ein kantiges Gesicht, scharf geschnitten und hager, schmale dunkle Augen, leicht nach unten gebogener Mund, hohe Stirn, darüber das kurz rasierte schwarze Haar...
Wes Campbell.
Ich sah Nachbilder in der Luft...
Meine Kehle zog sich zusammen, ich konnte nicht atmen.
Ich roch Gas.
Eine geheimnisvolle Süße.
Ich hörte seine Stimme:
Du weißt nichts. Du hast nichts gesehen. Und das hier ist nie passiert.
|316| Ich schloss die Augen.
»Jetzt komm, Pete«, hörte ich jemanden sagen.
Die Stimme klang merkwürdig – langsam und tief, schwer und verzerrt.
»Pete?«
Als ich die Augen wieder öffnete, stand Mum da und starrte mich an. Eric und Nic wurden zum Sicherheitseingang hinübergeführt und Erics Gesicht war jetzt wieder ganz der echte Eric.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Mum.
»Ja.«
»Dann los«, sagte sie. »Lass uns zusehen, dass wir hier rauskommen.«
Ich hatte richtig vermutet, dass Mum mit mir über Verschiedenes reden wollte, und sie kam schnell auf den Punkt. Sobald wir das Polizeirevier verlassen hatten, führte sie mich einen schmalen Fußweg entlang zu einer kleinen Grünfläche zwischen ein paar Bürohäusern und setzte sich auf eine Bank. Es war ein Ort mit Bäumen und Blumenrabatten, wo Büroangestellte draußen ihre Mittagspause verbringen, in der Sonne sitzen, Eis essen und Cola trinken. Aber jetzt war es schon spät und abgesehen von ein paar leeren Coladosen und einer Ansammlung von Eisverpackungen hatten wir den Platz für uns allein.
Es war heiß.
Ich schwitzte.
Meine Kehle tat weh.
Während der Verkehr auf dem Westway in der Hitze hin und her strömte und die Luft mit einem grauen Dunst aus Autoabgasen schwängerte, begann Mum zu reden. Sie sagte, |317| es täte ihr leid, dass ich das alles durchmachen müsse, und es täte ihr auch leid, dass sie nicht mehr getan habe, um mir zu helfen. Aber, sagte sie dann, sie sei doch auch sehr besorgt über einiges, was sie mitbekommen
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