Black Rabbit Summer
wusste ich nichts von ihnen? Warum hatte er mir nie was davon erzählt? Und wieso hatte er Stella einen geschenkt? Ich meine, es war nicht schwer, mir vorzustellen, wie er es getan hatte... mit einem verlegenen Lächeln schüchtern vor sich hin murmelnd...
du musst ihn nicht behalten, wenn du ihn nicht magst
...
ich meine
...
ich weiß, er ist ein bisschen
...
na ja, du weißt schon
...
ich meine, wenn er dir nicht gefällt
... und es war auch ziemlich einfach, mir vorzustellen, wie Stella den Stein aus seiner Hand genommen... ihn angesehen, vielleicht drüber gelacht und ihn dann achtlos in ihre Tasche gesteckt hatte.
Aber warum hatte er das getan?
Und wieso hatte er mir keinen geschenkt?
Ich hätte wirklich gern einen von diesen Kieseln gehabt... |308| ich hätte ihn zu meinem Porzellankaninchen oben auf der Kommode legen können. Aber was, überlegte ich, wenn Raymond seine Kaninchenkiesel nur Leuten schenkte, die er nicht mochte? Vielleicht waren sie eine Art Unglücksamulett, etwas, was er Leuten schenkte, die ihm auf den Sack gingen. Oder vielleicht...
Nein, ich wollte darüber nicht nachdenken.
Der Kiesel bedeutete nichts.
Genauso wenig wie alles andere.
Stella bedeutet Stern.
Der Stern geht heute Abend aus
...
Stella geht aus
...
Nichts davon bedeutete etwas.
Als ich endlich damit durch war, Barry von Samstagabend zu erzählen, als ich Gallaghers Protokoll des Gesprächs durchgelesen und danach Mum zugesehen hatte, wie sie alles durchlas, und ich schließlich jede Seite unten abgezeichnet hatte... als das alles vorbei war, fühlte ich mich ziemlich erledigt. Ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft, ich mochte nicht mehr reden, ich war diesen kahlen weißen Raum leid, ich war einfach alles leid. Ich hatte Barry viel mehr erzählt als jedem andern – wohl hauptsächlich deshalb, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, über Raymond nachzudenken, als dass ich mich hätte aufs Lügen konzentrieren können –, aber es gab immer noch eine Menge, was ich ihm nicht erzählt hatte. Von Wes Campbell zum Beispiel. Und von Nicoles Verhalten in der Hütte und danach auf der Kirmes. Und so gut wie alles, was Raymond mir an dem Abend gesagt hatte. Ich hatte Barry von der Wahrsagerin erzählt, was er ziemlich interessant zu finden schien, aber ich war nicht ins Detail gegangen, |309| was sie gesagt hatte. Ich hatte ihm sogar von dem Mann mit dem Schnauzbart erzählt. Aber als Barry fragte, wie er aussah, wo ich ihn gesehen hatte und wieso ich glaubte, es lohne sich, ihn zu erwähnen, waren meine Antworten derart vage ausgefallen, dass Barry bald aufhörte zuzuhören.
Er wolle keine Gefühle, hatte er mir erklärt, sondern bloß Fakten.
Was geschah danach?
Wo bist du hingegangen?
Wen hast du gesehen?
Wie spät war es?
Also hatte ich ihm genau das geliefert – die Fakten. Zeiten, Orte, Personen, Dinge... ich redete einfach immer weiter. Redete, redete, redete. Als ich an den Punkt kam, wie ich Mr Daggett weckte, nachdem ich zuvor Black Rabbits Kopf am Gartentor gefunden hatte, dachte ich, wir wären durch, doch da lag ich verkehrt. Barry hatte noch eine weitere Überraschung für mich parat.
Während Gallagher das Videoband weiterspulte, sagte Barry: »Es tut mir leid, dass wir deine Zeit so sehr beansprucht haben, Peter. Ihre natürlich auch, Mrs Boland. Und ich möchte Ihnen beiden für Ihre Hilfsbereitschaft danken.«
Er lächelte Mum an. Sie blickte nur düster zurück. Dann sah er wieder mich an und fuhr fort: »Ich will dir nur noch eine Sache zeigen, bevor wir zum Protokoll kommen, wenn das okay ist.«
»Also wirklich«, seufzte Mum. »Es reicht jetzt.«
»Es dauert nur eine Minute«, sagte Barry. »Ich muss nur etwas abklären.«
Gallagher hatte das Band inzwischen angehalten. Das Bild auf dem Schirm war eine unscharfe Aufnahme des Kirmesplatzes |310| – zertrampeltes Gras, Zigarettenkippen, Abfall. Dann drückte Gallagher auf
Play
und das Bild baute sich zitternd auf. Die Kamera zuckte eine Weile ziellos über das Gelände und zeigte uns schwindelerregende Bilder der Menschenmassen, Lichter und Fahrgeschäfte, doch plötzlich fing sich das Bild wieder – und jetzt wusste ich, wo der Kameramann stand. Ich sah die Reihen der blauen Dixi-Klos, die Leute, die rein- und rausgingen... und ich erkannte auch das düstere Karree am äußersten Ende der Toiletten. Der Film hatte jetzt keinen Ton, das Mikro musste abgeschaltet worden sein, und es gab auch nirgends einen Hinweis auf Stella.
»Nach
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