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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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der Zeitanzeige in der Kamera«, sagte Barry, »wurde das hier zwanzig Minuten nach Mitternacht aufgenommen. Stella ist zum letzten Mal gesehen worden, als sie ungefähr zehn Minuten davor zu den Toiletten ging.«
    Ich starrte auf den Bildschirm und folgte der Kamera, wie sie langsam über den Kirmesplatz schwenkte. Dann drückte Gallagher plötzlich den Pause-Knopf, das Bild erstarrte und ich sah ein flackerndes Bild meiner selbst. Ich saß auf einer Bank, eine Flasche Wodka Orange in der Hand. Ich starrte hinüber zu dem Karree neben den Toiletten. Ich wirkte verloren – dumpf, verstört, benebelt. Im Hintergrund stand eine zweite verstört wirkende Gestalt ganz für sich und beobachtete mich aus der Ferne. Ihr Gesicht war ein wenig verschwommen und sie stand leicht verdeckt hinter einer Zeltplane, doch die dunklen Augen, die roten Lippen ließen keinen Zweifel... das zurückgegelte Haar, die tief sitzende Hüftjeans, dieses durchscheinende bauchfreie weiße Top.
    Es war Nicole.
    Sie beobachtete mich.
    Ich beugte mich auf meinem Stuhl vor und blinzelte in |311| den Bildschirm. Hinter Nicole, ungefähr zehn Meter von ihr entfernt, stand eine weitere verschwommene Gestalt in der Öffnung eines Zelts. Ich erkannte das Zelt. Es war das Zelt der Wahrsagerin. Und dort stand sie, Madame Baptiste, Lottie Noyce, und beobachtete Nicole, wie Nicole mich beobachtete, wie ich Pauly beobachtete, der Eric und Campbell folgte...
    Und hier saß ich nun in diesem stummen weißen Raum und beobachtete das Ganze noch einmal.
    »Das bist doch du, nicht?«, fragte Kriminalkommissar Barry. »Der da auf der Bank sitzt.«
    »Ja.«
    »Was machst du da?«
    Mich elend fühlen
, dachte ich.
Das ist es, was ich da mache. Ich habe vergessen, was ich vorhatte zu tun. Ich überlege, was mit mir los ist. Warum kann ich nichts richtig machen? Warum kann ich nichts tun?
    »Ich mach gar nichts«, erklärte ich Barry. »Ich sitze bloß da, verstehen Sie... ich war müde. Ich hatte überall nach Raymond gesucht. Ich wollte mich ausruhen...«
    »Du warst nur einfach ganz zufällig da?«, fragte er. »Zehn Minuten nachdem Stella verschwand, und du warst nur einfach ganz
zufällig
da?«
    Ich zuckte die Schultern. »Jeder muss doch irgendwo sein.«
    Barry machte sich nicht die Mühe, den Unglauben in seinem Blick zu verbergen. Doch er sagte nichts. Er nickte bloß Gallagher zu, Gallagher drückte von Neuem auf
Play
und ich sah mich stotternd auf der Leinwand wieder zum Leben erwachen – ich betrachtete die Flasche Wodka Orange und wusste genau, dass ich sie nicht trinken sollte, dass es mir |312| nicht guttäte, doch ich schien keine Wahl zu haben. Ich hatte keine Wahl. Die Flasche hob sich ganz von allein an meine Lippen, drehte sich von selbst über Kopf und als Nächstes wusste ich nur, sie war leer.
    Vorsichtig stellte ich sie ab.
    Rülpste prächtig.
    Und schloss die Augen.

    Auf dem Bildschirm war nichts mehr zu sehen.

|313| Zwanzig
    M um sagte nichts zu mir, während Gallagher uns aus dem Befragungsraum führte und hinunter zum Ausgang brachte. Sie sah mich auch nicht an. Auf dem Weg den Flur entlang und die Treppe hinunter fragte ich mich, was sie wohl dachte. War sie wütend auf mich? Machte sie sich Sorgen? War sie schockiert? Enttäuscht? Ihr Gesichtsausdruck verriet absolut nichts, aber ich wusste, ich würde nicht lange warten müssen, um es herauszufinden. Bevor wir den Befragungsraum verließen, hatte Kommissar Barry noch angeboten, uns nach Hause fahren zu lassen, doch Mum hatte gesagt, er solle sich keine Mühe machen.
    »Vielen Dank«, erklärte sie ihm, »aber wir schaffen es schon allein zurück. Vorher haben wir sowieso noch ein paar Dinge zu erledigen.«
    Als wir durch die Sicherheitsschleuse in den Empfangsbereich kamen, blieb Gallagher in der geöffneten Tür stehen und nickte in Richtung Ausgang.
    »Wenn Sie dort durch die Glastüren gehen und sich dann nach rechts wenden«, erklärte er uns, »kommen sie direkt am Westway heraus.«
    Ich warf ihm einen Blick zu, überrascht vom piepsigen Klang seiner Stimme, und auf einmal merkte ich, dass ich |314| ihn bis jetzt nicht ein einziges Mal hatte etwas sagen hören. Er war seit zehn Uhr morgens mit uns zusammen, jetzt war es nach zwei. Vier Stunden und er hatte nicht ein Wort gesagt.
Na ja
, dachte ich,
wenn ich so eine Stimme hätte, würde ich auch nicht viel reden.
    »Alles klar?«, quiekte er in meine Richtung.
    »Ja, danke«, antwortete ich und versuchte ein Lachen zu

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