Black Rose
wolle, ihren
Zeitplan beeinflussen könne.
»Ja, natürlich. Wenn die Geschworenen sich bitte in den
Geschworenenraum zurückziehen wollen, ich habe noch ein paar Dinge mit den
Anwälten zu besprechen.«
Obwohl nicht größer als das der anderen Richter, strahlte das
Amtszimmer von Alice Brunelli eher die Behaglichkeit eines Wohnzimmers aus als
die eines Arbeitsraums. Mit einem großen antiken Schreibtisch, den sie selbst
gekauft hatte, statt sich mit dem einfachen Metalltisch zu begnügen, den die
Stadt zur Verfügung stellte, mit dicken Teppichen, die den grauen
Linoleumfußboden bedeckten, und den Regalen voller Bücher, die immer wieder
gelesen wurden, hatte es mit einem öffentlichen Büro in einem Gerichtsgebäude nur wenig
Ähnlichkeit. Sie wies den beiden Anwälten zwei hölzerne Lehnstühle vor ihrem
Schreibtisch an. Philip Conrad saß etwa anderthalb Meter weiter seitlich,
sodass er die drei deutlich sehen konnte, während er ihre Worte notierte.
»Bringen Sie Ihren Antrag vor«, sagte Brunelli und sank in
einen blauen Ledersessel.
Da er hier keine Geschworenen beeindrucken konnte und keine
Zuschauer hatte, denen er etwas vormachen konnte, brachte Kubik seinen Antrag
mit ausdrucksloser und eintöniger Stimme vor. Brunelli wandte sich an Franklin.
»Und da war noch etwas, was Sie besprechen wollten – ging es um einen Zeugen?
Wie viele haben Sie noch?«
»Nur einen, Euer Ehren, aber der kann nicht vor Montag
aussagen.«
Kubik runzelte die Stirn. »Heute ist erst Mittwoch. Sie
bitten also um eine Terminverschiebung von fast einer Woche, nur weil Ihr Zeuge
nicht bereit ist?«
Franklin kratzte sich am Ohr. »Die Situation ist recht ungewöhnlich.
Mein letzter Zeuge arbeitet bei der Bundesregierung. Es gibt ein paar Dinge … Er
kann nicht aussagen, bevor sie geschehen sind, er …«
Kubik lachte höhnisch. »Kann nicht aussagen?« Er wandte
sich an Brunelli. »Seit wann wird ein Prozess hinausgezögert, nur weil es der
Regierung in den Kram passt?«
»Der Ausdruck ›in den Kram passt‹ ist meiner Ansicht nach nicht
ganz angemessen«, sagte Franklin. Er langte in seine Aktentasche und zog einen
versiegelten Umschlag hervor. »Ich habe hier eine eidesstattliche Erklärung,
aus der hervorgeht, was geschehen wird.«
»Davon würde ich gern eine Kopie sehen«, protestierte
Kubik, als Franklin Alice Brunelli den Umschlag überreichte.
»Man bittet darum, nur die Richterin Einblick nehmen zu
lassen. Ich habe die Erklärung nicht gelesen. Sie wurde mir versiegelt übergeben,
so wie Sie sie hier sehen. Ich weiß nur, dass die Erklärung die Gründe dafür
nennt, weshalb der Zeuge nicht hier sein kann. Sie wurde mir heute Morgen von
einem Kurier ins Büro gebracht.«
Alice Brunelli brach das Siegel. Die eidesstattliche
Erklärung war drei Seiten lang. Sie verzog keine Miene, während sie den Text las.
Als sie geendet hatte, legte sie die drei Blätter wieder in den Umschlag und
schloss diesen in eine Schublade in ihrem Schreibtisch ein. Ein besorgtes
Lächeln, der Schatten einer tiefen Beunruhigung, zog über ihren Mund.
»Das hier könnte die Regierung zu Fall bringen«, murmelte
sie wie zu sich selbst. Als wäre ihr plötzlich wieder eingefallen, dass sie
nicht allein war, sah sie erst Franklin und dann Kubik an. »Das Gericht vertagt
sich bis Montag. Wir müssen es den Geschworenen sagen.«
25
Als das Gericht am Montagmorgen wieder
zusammentrat, war der letzte Zeuge der Anklage kein gesichtsloser Bürokrat
mehr, sondern ein berühmter Name geworden. Jack Taylor hatte sechs Mitglieder
der Hawthorne-Gruppe unter der Anschuldigung der kriminellen Verschwörung
festgenommen. Sie alle hatten zu irgendeiner Zeit in der Regierung
verantwortungsvolle Positionen bekleidet. Das ganze Land befand sich in einem Schockzustand.
Als Philip Conrad seine Stenomaschine bereitmachte,
bemerkte er im Publikum eine Veränderung: Die Stimmung hatte sich gewandelt.
Die meisten Zuschauer, die dort saßen und darauf warteten, dass der Prozess
weiterging, wirkten müde, fast deprimiert, als hätte es sie erschöpft, was sie
erfahren hatten. Sie schienen ihm nachdenklicher als zuvor und zugleich tief
verstört. Danielle St. James, die starr geradeaus blickte, hatte einen ganz
eigenen Ausdruck, sie war eine Gemiedene und Verlassene und ganz auf sich
gestellt.
Als die Seitentür aufging, erhoben sich alle. Alice
Brunelli eilte zur Richterbank. »Bringen Sie die Geschworenen herein«, wies sie
den Gerichtsdiener an.
Die
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