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Black Rose

Black Rose

Titel: Black Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Black Rose
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trauen konnte, das sah man sofort. Der Anwalt hielt sein
Scheckbuch in der Hand, bereit, den Betrag einzutragen, den Conrad ihm nennen
würde. Doch dieser schüttelte den Kopf.
    »Man legt nur Berufung ein, wenn man verliert, Mr. Morrison;
nur dann muss man die Abschrift noch einmal durchsehen: wenn man irgendeinen
juristischen Fehler finden muss, irgendeinen Formfehler«, erklärte er. Er
sprach langsam und methodisch und ein wenig schwerfällig, als wollte er die
Bedeutung und den relativen Wert jedes einzelnen Wortes abwägen. »Und die
Staatsanwaltschaft kann nicht in Berufung gehen, weil …«
    »Weil die Anklage in einem Strafverfahren gegen einen
Freispruch nicht Berufung einlegen kann – ja, ich weiß, Mr. Conrad«, sagte
Morrison. Seine Stimme klang nicht etwa ungeduldig, sondern eher verlegen, als
bedauerte er, dem älteren Mann die Mühe gemacht zu haben, ihm zu erzählen, was
er schon wusste.
    Mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck lehnte sich
Conrad in seinem Stuhl zurück. In seinem kleinen Kabuff von Büro hatte er das
dunkelbraune Sportjackett, das er fast jeden Tag trug, an einem Metallhaken an
der Tür aufgehängt und stattdessen eine graue Strickjacke über sein weißes
Oberhemd mit der bunten Krawatte gezogen. Die Jacke hatte ein Loch am rechten
Ellbogen, was weniger ein Kennzeichen von Verlotterung als von der bescheidenen
Vornehmheit war, in der Philip Conrad lebte.
    »Sie haben den Prozess gewonnen; die Staatsanwaltschaft
kann nicht in Berufung gehen … Also warum …?«
    »Ich weiß, dass ich gewonnen habe«, entgegnete Morrison mit
einem Gesichtsausdruck, der später berühmt werden sollte, einem Ausdruck
verblüfften Erstaunens, dass er etwas getan haben konnte, das sich so zum Guten
gewendet hatte. »Ich weiß, dass ich gewonnen habe«, wiederholte er mit einem
Kopfschütteln. »Ich habe mir gedacht, ich sollte lieber herausfinden, warum.«
    Conrad musste lachen, doch dann ging ihm auf, dass Morrison
es ernst gemeint zu haben schien. Den jungen Anwalt interessierten freilich weder
die etwaigen Fehler des Richters noch irgendwelche Formfehler, und selbst was
die Verfahrenstaktik der Anklage betraf, war ihm nicht an einem genaueren
Studium gelegen. Nein, Morrison interessierte sich nur für eigene Fehler, für
Dinge, die er hätte besser machen können, für Möglichkeiten, sein Auftreten vor
Gericht noch zu perfektionieren.
    Die Arme vor der Brust verschränkt, ließ Conrad seinen
Blick für einen Moment auf Morrison verweilen – nur um sicher zu sein. Dann
blickte er zur Seite, um mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen in stiller
Billigung die Augenbrauen zu heben und langsam zu nicken. Morrison war anders
als die anderen, und Conrad wusste das.
    »In etwa einer Woche werde ich alles für Sie bereithaben.«
Morrison wollte fragen, in welcher Höhe er den Scheck ausstellen sollte. Conrad
schüttelte den Kopf. »Sie können zahlen, wenn Sie wiederkommen.«
    Als Philip Conrad Morrison zum ersten Mal begegnete, war er
seit fast zwanzig Jahren Gerichtsstenograph und beinahe genauso lange
verwitwet. Jeder, der im Gerichtsgebäude mit ihm zu tun hatte, mochte ihn. Er
war bescheiden, fast zurückhaltend, hatte ein angenehmes, rundes Gesicht und
sanfte Augen, die selbst dann irgendwie traurig blickten, wenn er lächelte.
Doch er gab sich heiter – vielleicht um andere nicht mit Dingen zu belasten, die
nur ihn betrafen. Abgesehen von dem Gerichtsklatsch, der in der kleinen Gruppe
von Gerichtsbediensteten und Stenographen die Runde machte, mit denen er um die
Mittagszeit manchmal in der Caféteria ein Sandwich aß, war er eher schweigsam.
    Jeder im Gerichtsgebäude kannte Philip Conrad so, wie man einen
Menschen, mit dem man einen Teil seines Arbeitstags verbringt, eben kennt; und
doch hätte niemand auf die Frage, wo er lebte oder was er am Wochenende tat,
eine Antwort gewusst, außer dass er irgendwo in der Stadt lebte – was natürlich
San Francisco bedeutete – und dass er wahrscheinlich einen Großteil seines Wochenendes
damit zubrachte, das Prozessprotokoll zu tippen, das irgendein Anwalt für ein
Berufungsverfahren brauchte. Wen immer man gefragt hätte, ob Philip Conrad
verheiratet sei, hätte sich mit einiger Verlegenheit gefragt, weshalb er stets
einfach angenommen hatte, dass er allein lebte.
    Er sprach nie über seine Frau oder über das, was passiert
war. Es kam ihm nie in den Sinn, dies zu tun. Dazu waren ihm diese Dinge zu
intim und zu schmerzlich. Er hatte das

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