Black Rose
Kompliment gemacht. Er starrte zu Boden. »Das
Eröffnungsplädoyer war nicht … Und dann war da diese Frage, die ich beim
Kreuzverhör gestellt habe. Die hätte …« In der Gewissheit, dass Conrad sich
erinnern und ihm zustimmen würde, sah er ihn an. Doch Conrad erwiderte nur
seinen Blick und sagte, das Protokoll werde in einer Woche fertig sein.
Erst nachdem Conrad in mindestens sechs von Morrisons
Prozessen Stenograph gewesen war, brachte er ihn zum ersten Mal mit einem der
legendären Anwälte der Vergangenheit in Verbindung. Morrison war gekommen, um
das Protokoll nach einem weiteren Freispruch in einem weiteren Prozess zu
erbitten, von dem niemand geglaubt hatte, dass er ihn gewinnen könnte. Er hatte
ein Modell des Hauses benutzt, in dem der Mord stattgefunden hatte, ein
maßstabsgetreues Modell, um zu zeigen, dass die Aussage des Hauptzeugen der
Anklage unmöglich wahr sein konnte.
»Melvin Belli hat immer maßstabsgetreue Modelle benutzt«, bemerkte
Conrad. Er drehte den Kopf leicht zur Seite und beobachtete Morrisons Reaktion.
»Ich glaube, er war der Erste.«
Morrisons Augen leuchteten auf. Er setzte sich auf den
Stuhl an der Seite von Conrads einfachem Holzschreibtisch. »Sie haben Belli bei
der Arbeit gesehen? Waren Sie Stenograph in einem seiner Prozesse?«, fragte er
zunehmend begeistert. »War er so gut, wie die Leute sagen? Er war bestimmt
besser, darauf könnte ich wetten!«
»Es war einer seiner letzten Prozesse – er war schon recht
alt –, aber immer noch sehr eindrucksvoll. Er hatte mehr juristisches Wissen
vergessen, als die meisten Anwälte je lernen.«
Morrison nickte eifrig. »Sind die Geschichten tatsächlich
wahr? Dass er nach jedem gewonnenen Prozess auf dem Dach seines Bürogebäudes
drüben an der Sutter Street eine Kanone abfeuerte?«
Conrad verschränkte die Hände im Nacken. »Das wurde mir erzählt,
aber selbst gehört habe ich es nie.«
Morrison lachte. Seine Augen glitzerten vor Aufregung. »Und
was ist mit der Geschichte, dass er einmal eine Siegesparty gab, bei der eine
Frau splitternackt Harfe spielte?«
»Das weiß ich wirklich nicht – ich war nicht eingeladen.
Aber es kann schon sein, dass die Geschichte stimmt. Bei Belli war alles möglich.«
Nach dieser kurzen Unterhaltung wurden die beiden Männer auf
seltsame Art Freunde. Morrison wollte alles wissen, was Conrad ihm über die
großen Strafverteidiger erzählen konnte, die er gekannt hatte. Keine Einzelheit
war zu klein oder zu unbedeutend. Was immer Conrad ihm erzählte, er wollte nur
noch mehr wissen: wie diese Anwälte die Geschworenen ansprachen, wie sie mit einem
Zeugen im Zeugenstand umgingen und – mehr als alles andere – was sie taten,
wenn etwas Unvorhergesehenes geschah. Von wem auch immer Conrad gerade sprach,
Morrison wollte immer wissen, wie dieser Anwalt mit Überraschungen umgegangen ist.
»Das macht mir zu schaffen«, sagte Morrison an einem späten
Nachmittag, als sie in einer fast leeren Caféteria bei einer Tasse Kaffee
zusammensaßen.
»Was stört Sie?«, wollte Conrad wissen, als er einen Löffel
Zucker in seine Tasse einrührte.
»Dass immer etwas passiert, was man nicht erwartet.« Conrad
sah nicht hoch. »Wie viel Zeit man auch auf die Vorbereitung verwendet, wie
gründlich man auch gewesen sein mag, immer passiert etwas, das alles verändert.
Und dann geht einem auf, dass man es eigentlich von Anfang an hätte wissen
müssen.«
Conrad legte den Löffel auf den Tisch. Mit beiden Händen hielt
er die Tasse und nippte langsam. Der Kaffee schmeckte nach nichts. Aber falls
Conrad es überhaupt bemerkt haben sollte, schien es ihm nichts auszumachen.
»Sie sprechen davon, was bei einem Prozess passiert – genauso
gut könnten Sie darüber sprechen, was im Leben geschieht.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich das je hinkriege«, fuhr
Morrison fort. Er war wie fixiert auf diesen Gedanken. »Da ist immer etwas, was
ich zu übersehen scheine.«
Conrad nahm einen zweiten Schluck und stellte die Tasse ab.
Er begann seine Finger zu einer Faust zu ballen und sie dann wieder auszustrecken.
»Ich mache meinen Job schon recht lange«, sagte er freundlich, »und ich habe
nie jemanden gesehen, der besser war.«
Morrison warf ihm einen zweifelnden Blick zu, als wüsste er
nicht, ob er ihm glauben sollte oder ob es einen Unterschied machte, wenn er es
tat. Conrad verstand sofort. »Da haben Sie Recht, nehme ich an: Dass man besser
ist als die anderen, bedeutet nicht, dass man gut genug ist, aber
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