Black Rose
deswegen gehabt? Nein, das ist eine dumme Frage, etwa so,
als würde ich unseren Darwin da drüben fragen« – er nickte einem Mann mit
kleinen habgierigen Augen und schütterem Haar auf der anderen Seite des Tisches
zu –, »ob es ihn störte, wenn irgendeine seiner finanziellen Transaktionen ein paar
tausend Leute den Job kostet.«
Darwin lachte und machte eine protestierende Handbewegung, aber
nicht, weil er beleidigt war, sondern um in St. James nicht das Gefühl
moralischer Überlegenheit aufkommen zu lassen. »Die Millionen von Anlegern mal
ganz außer Acht gelassen,
die …«, begann er. St. James brachte ihn mit einem eisigen Blick zum Schweigen.
»Wie ich immer sage«, fuhr St. James an Morrison gewandt
fort: »Diese Art dummer Fragen stellen nur Leute, für die nichts auf dem Spiel
steht. – Was ich wissen möchte: Wie machen Sie das? Was machen Sie besser
als die anderen? Warum gewinnen Sie die Prozesse, von denen es heißt,
jeder andere würde sie verlieren?«
»Seht ihn euch an!«, rief Danielle aus. Sie blickte von
einem Gesicht zum anderen. Keiner der Gäste schien zu begreifen, worauf sie
hinauswollte. Dabei lag es auf der Hand. Sie musste lachen.
»Wie soll jemand mit einem solchen Gesicht lügen können?
Wenn dieser Mann aufsteht, um zu den Geschworenen zu sprechen – ich muss dazu
sagen, ich war noch nie bei Gericht und habe keine Ahnung, wie es bei einem
Prozess zugeht«, bemerkte sie mit einem schnellen Seitenblick zu Morrison, »also,
wenn dieser Mann behauptet, sein Mandant sei unschuldig, meint ihr nicht auch,
dass sie ihm dann gerne glauben wollen? Dass sie seinen Worten Glauben
schenken, selbst wenn sie irgendwelche Zweifel haben sollten, und nicht auf das
hören, was irgendein Anwalt der Gegenseite ihnen erzählt?« Sie sah quer über
den Tisch zu ihrem Mann, um dann schnell zu Morrison zu blicken. »Ich mag Ihr
Gesicht«, sagte sie mit einem Lächeln, das schüchtern und herausfordernd
zugleich wirkte. Ihr Blick wanderte wieder zu ihrem Mann zurück.
» Ich würde mit Sicherheit alles glauben, was er mir
erzählt.«
»Dazu muss man wissen, dass Danielle selten jemandem etwas
glaubt, was es auch sei«, erklärte St. James. Er hielt sein leeres Weinglas in
die Höhe und musterte es nachdenklich, um es dann wieder hinzustellen, damit
der Kellner ihm nachschenken konnte.
»Aber hinter Ihrem ehrlichen Gesicht, Mr. Morrison … Es
ist eine Maske, nicht wahr? Hinter der sich verbirgt, was jeder erfolgreiche Anwalt
haben muss: rücksichtsloser Ehrgeiz und der Wille, alles zu tun, um zu gewinnen
…«
»Nelson!«, rief Danielle sichtlich verärgert aus.
Mit der ausgestreckten Hand gab St. James dem Kellner zu
verstehen, dass er genug eingegossen hatte. Es entstand ein unheilvolles
Schweigen, als er über den Tisch hinweg seine Frau ansah; es war ein Blick, der
eine Warnung zu enthalten schien, eine Erinnerung an etwas, das schwer auf
ihnen beiden lastete. Der Ausdruck in seinen Augen änderte sich, wurde
förmlich, distanziert und kalt. Das wehmütige Lächeln eines Menschen, der
verraten wurde und alles verloren hat, umspielte seinen Mund. »Wir sollten
fähig sein, ab und zu die Wahrheit zu sagen, meinst du nicht auch?«, sagte er schließlich.
In Danielles Augen blitzte es zornig auf.
»Tatsache ist«, sagte Morrison und ließ seine Serviette auf
den Tisch fallen, »dass es eigentlich gar kein Geheimnis gibt. Die einzige
Möglichkeit zu gewinnen ist, den Fall bis ins kleinste Detail zu kennen, damit
man selbst keine Fehler macht, und sich jeden Fehler der Gegenseite zunutze zu
machen. Prozesse werden manchmal durch absolute Kleinigkeiten entschieden – etwa
die Art, wie ein Zeuge seine Mimik verändert, wenn er plötzlich ins Stocken
kommt, als hätte er einen Teil der Lüge vergessen, die er erzählen wollte …«
»Wenn also jemand mit einem Mord durchkommen will« – St.
James gab dem Kellner ein Zeichen, den Gästen Champagner einzuschenken –, »muss
er somit nichts weiter tun, als Sie als Anwalt zu engagieren und ein so gutes
Gedächtnis zu haben, dass seine Lügengeschichte glaubhaft ist. Scheint mir
keine große Kunst zu sein.«
»Aber wenn jemand wirklich mit einem Mord davonkommen will
– wenn er vorher darüber nachgedacht und ihn sorgfältig geplant hat –, warum
sollte er dann an diese beiden Möglichkeiten denken: sich der Dienste Mr. Morrisons
zu versichern oder auf eine glaubwürdige Geschichte zu achten?«, fragte
Danielle mit einem feindseligen Lächeln.
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