Black Rose
St. James warf ihr einen verwirrten, ungeduldigen
Blick zu, als er die Champagnerflöte an die Lippen führte.
»Besteht die beste Methode, mit einem Mord davonzukommen, nicht
darin, sich nicht erwischen zu lassen? Bedeutet es nicht, dass man versagt hat,
wenn man sich der Dienste Mr. Morrisons und seines ehrlichen Gesichts
versichern muss?«
Bevor St. James sein Glas abstellen und etwas erwidern konnte,
wandte sie sich mit einem Lächeln Morrison zu, das plötzlich spielerisch und
voller Leben war. »Sagen Sie uns, von Morden einmal abgesehen, arbeiten Sie
auch als Scheidungsanwalt?«
Niemand lachte lauter als Nelson St. James, doch Morrison kam
es vor, als wäre sein Lachen hohl und gezwungen.
Morrison trank an jenem Abend zu viel, und als er am
nächsten Morgen aufwachte, hatte er Kopfschmerzen. Die gegenüberliegende Küste
lag im gleißenden Licht der Mittagssonne wie von dichtem Nebel verborgen,
obwohl sie nicht mehr als eine Meile entfernt war. Das Deck unter Morrisons
Füßen vibrierte unter dem dumpfen Rhythmus der Schiffsmaschine. Mit der einen
Hand hielt er sich an der Reling fest, in der anderen hielt er eine Bloody Mary.
»Sie ist wirklich schön, nicht wahr?«
Nelson St. James stand direkt hinter ihm. Morrison nickte
vage, um zu bestätigen, was St. James gesagt hatte, und warf einen
anerkennenden Blick auf die eleganten Linien von St. James’ wertvollstem
Besitz. Dieser lachte laut auf.
»Nicht das Schiff, Mr. Morrison. Meine Frau! Sie
konnten gestern Abend den Blick nicht von ihr wenden. Nein, das muss Ihnen nicht
peinlich sein! Danielle ist eine der schönsten Frauen dieser Welt. Darum habe
ich sie ja auch geheiratet. Wozu sollte man etwas besitzen, wenn man es nicht
vorzeigen kann? Ja, ich weiß – so was soll man nicht sagen.«
St. James stand breitbeinig vor der Reling, die er mit
beiden Händen umfasste. Er deutete mit dem Kopf zu den Hügeln hin, die sich
entlang der Küste hoben und senkten, sowie auf ein Gewirr roter Ziegeldächer
eines herrschaftlichen Anwesens. »Das Schloss von Hearst«, erklärte er zu
Morrison gewandt. »Glauben Sie, Hearst hat das gebaut, weil er nicht wollte,
dass jemand zu sehen bekommt, was er alles besitzt, dass niemand wissen sollte,
was er an Reichtümern aus allen Ecken und Enden dieser Welt zusammengetragen
hat, um die Leere seines Lebens auszufüllen? Es ist das einzige Schloss der
Welt, das nach seinem Erbauer benannt worden ist. Und Amerika ist das einzige
Land, in dem so etwas möglich war, denn hier beten wir nicht Königshäuser an,
sondern Geld.«
St. James richtete sich auf und streckte die Arme. Als er
Morrisons Getränk sah, verzog er das Gesicht und schüttelte den Kopf.
»Sie haben weniger getrunken als alle anderen, und trotzdem
scheinen Sie der Einzige zu sein, der die Wirkung spürt. Die anderen – sie tun
nichts weiter als trinken; aber wer kann es ihnen schon verdenken? Wenn Sie
auch so langweilig wären, würden Sie dann nicht auch vergessen wollen, wer Sie
sind?«
»Warum haben Sie sie dann …?«, entfuhr es Morrison.
»… überhaupt eingeladen? Warum lassen wir diese Art
Wochenendgäste überhaupt an Bord?« Schlaue Bosheit funkelte in St. James’ Augen.
»Weil die Welt diese Leute für interessant hält – und weil Danielle
einverstanden war. In Wahrheit langweilen sie mich alle, Morrison, so gut wie
jeder von ihnen. Das Einzige, was mich an anderen Menschen interessiert, ist,
wozu sie fähig sind.«
Und wie Sie sie benutzen können, dachte Morrison bei sich. Welchen
anderen Maßstab konnte ein Mann haben, der seine Frau allein aus dem Grund geheiratet hatte, um sie
vorzuzeigen?
»Das ist es, was mich an Ihnen so fasziniert, Morrison: die
Art und Weise, wie wir beide die Regeln so benutzen, wie es nie beabsichtigt
war …« Seine Hand schoss in die Höhe, um die unvermeidlichen Einwände
abzuwehren. »Ich weiß, ich weiß: ›Unschuldsvermutung‹, ›mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit‹ – damit können Sie einem anderen kommen. Sie und
ich …« Er schüttelte triumphierend den Kopf. »Regeln sind für andere Leute da,
Morrison, und wir beide wissen das. Wir haben nur eine Regel – gewinnen.«
Wind kam auf, der in Böen über das Deck fegte. Steile
kabbelige Wellen begannen gegen den Schiffsrumpf zu schlagen. Das Eis in
Morrisons Glas klirrte in seiner noch unsicheren Hand.
Ein rätselhaftes, schmallippiges Lächeln umspielte den Mund
von St. James, als er ihm prüfend in die Augen sah. »Ich traue
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