Black Rose
Zeugen geladen. Es gab
niemanden, der Danielle ein Alibi hätte geben und darauf beharren können, dass
sie sich zum Zeitpunkt des Mordes woanders aufgehalten hatte. Es gab auch
niemanden, der glaubhaft behaupten konnte, dass Nelson St. James von jemand
anderem getötet worden war. Morrison konnte kaum Danielle in den Zeugenstand
bitten, um den Geschworenen zu sagen, wie sie es getan, wie sie ihren Mann erschossen
hatte. Morrison hatte keine schlüssige Beweislage, aber das brauchte er auch
nicht. Die Beweislast lag bei der Anklage, die nachweisen musste, dass Danielle
ihren Mann ermordet hatte. Und Morrison war felsenfest davon überzeugt, dass
Franklin dieser Nachweis nicht gelungen war und die Geschworenen Danielle würden
freisprechen müssen.
All das erklärte er Danielle an jenem Abend, doch sie hatte
schon vorher gewusst, was er vorhatte. Die Distanz, die Morrison normalerweise
zu seinen Mandanten wahrte, gab es auch unabhängig von ihrer privaten Beziehung
schon lange nicht mehr zwischen ihnen. Morrison hatte ihr die ganze Zeit nichts
vorenthalten und ihr alles gesagt. Er hatte keinerlei Grund, das nicht zu tun.
»Mr. Morrison«, sagte Richterin Brunelli am nächsten
Morgen, »ist die Verteidigung bereit, ihren ersten Zeugen aufzurufen?« Sie sah
flüchtig von der Richterbank auf.
Jeder Anwalt wird zugeben, dass er immer ein Gefühl von
Erleichterung verspürt, nachdem der letzte Zeuge aufgerufen worden ist. Ihm
bleibt dann immer noch, das Schlussplädoyer und das schreckliche Warten auf das
Urteil hinter sich zu bringen, aber ohne weitere Zeugen gibt es keine
Überraschungen mehr, nichts, was einen noch überrumpeln könnte.
Rufus Wiley, der letzte Zeuge der Anklage, war der letzte
Zeuge des Prozesses gewesen. Alles, was jetzt noch zu tun blieb, die Schlussplädoyers
von Anklage und Verteidigung, die Anweisungen der Richterin an die
Geschworenen, die langen Beratungen der Geschworenen hinter verschlossenen
Türen, all das würde auf dem beruhen, was jetzt vollendet war.
Morrison fühlte sich zuversichtlich und entspannt. Er
blickte zu Richterin Brunelli hinüber. »Euer Ehren, die Verteidigung hat ihre
Beweisführung abgeschlossen.«
Ein kollektives Seufzen ging durch den Saal, als die
Zuhörer begriffen, dass Danielle St. James, die Frau, um derentwillen alle hergekommen
waren, zu ihrer Verteidigung nicht in den Zeugenstand treten würde. Man konnte
ihre Enttäuschung spüren, die skandalumwitterte Frau, über die so viele
Gerüchte im Umlauf waren, nun nicht selbst sprechen zu hören. Dann, Sekunden
später, erfolgte eine zweite Reaktion des Publikums: so etwas wie ein verwirrtes
Schweigen. Danielle war von ihrem Stuhl aufgestanden.
»Euer Ehren, habe ich nicht das Recht auszusagen, falls ich
mich dazu entschließen sollte?«
Morrison spürte, wie ihm die Beine nachgaben. Das Blut
strömte ihm ins Gesicht. »Danielle!«, flüsterte er warnend. »Wir haben uns in
dieser Sache entschieden!«
»Das ist doch so, oder etwa nicht, Euer Ehren?«
Alice Brunelli war ganz gespannte Aufmerksamkeit. Fast mit Besorgnis
im Blick tippte sie mit zwei Fingern auf die Richterbank, hielt inne, nickte
und wandte sich dann an die Geschworenen.
»Meine Damen und Herren, es gibt da etwas, was in
Abwesenheit der Geschworenen diskutiert werden muss.«
In dem Moment, in dem die Geschworenen den Gerichtssaal verlassen
hatten, setzte Brunelli an, Danielle eine Frage zu stellen, überlegte es sich
dann anders und richtete sie stattdessen an Morrison. »Darf ich davon ausgehen,
dass Sie Ihre Mandantin in dieser Angelegenheit über ihre Rechte aufgeklärt
haben?«
»Ja, Euer Ehren, das habe ich.«
»Vor allem über ihr Recht, zu ihrer Verteidigung
auszusagen?«
»Ja.«
»Sie haben ihr gesagt, dass ein Angeklagter in einem
Strafprozess nicht aussagen muss, dass niemand ihn zu einer Aussage zwingen
kann, dass er sich aus freien Stücken aber dennoch dafür entscheiden kann?«
»Ja, Euer Ehren.«
Alice Brunelli machte sich eine Notiz und fragte dann Danielle,
ob Morrisons Äußerung den Tatsachen entspreche. Wie immer in ihren Prozessen
handelte sie genau nach Vorschrift, da es hier um das Verhalten eines Anwalts
ging. War es das, worauf Danielle aus war, fragte sich Morrison, sein Verhalten
als Anwalt? Wollte sie sich durch die Behauptung retten, er sei zu sehr an ihr
als Frau interessiert gewesen, zu sehr darum bemüht, mit ihr ins Bett zu gehen,
statt die nötige Zeit und Aufmerksamkeit für ihre Verteidigung
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