Black Swan - Silberner Fluch
blickte mich rasch um, ob einem der Gäste unsere Verschönerungsaktion aufgefallen war, aber der
Chassid aß weiterhin ruhig seine Suppe, das ältliche Pärchen stocherte in seinen Omeletts, und die Kellnerinnen tratschten an der Durchreiche zur Küche.
»Was wolltest du gerade sagen?«, fragte Noam und ließ die anderen Steine wieder in das graue Säckchen gleiten.
»Ja, das, was du hörtest, ist wahr«, nickte Oberon. »Mindestens hundert Sylphen wurden getötet. Sie starben offenbar daran, dass sie einen Nebel tranken, von dem wir annehmen, dass er von John Dee ausgesandt wurde.«
Noam Erdmann schüttelte den Kopf. Seine Augen wirkten jetzt noch schwerer und trauriger als zuvor. »Eine Tragödie. Was für ein Ungeheuer tut so etwas? Weißt du, wie er den Nebel bewegt?«
»Ich hoffte, du würdest etwas darüber wissen. Deine Leute verbringen doch viel Zeit unter der Erde.«
»Nicht mehr so viel wie früher, jedenfalls nicht in der City. In letzter Zeit ist dort viel los, es wird so viel gebuddelt – angefangen mit der Grube am Ground Zero, der neuen Wasserversorgung und dem Tunnel für den Trans-Hudson Express. Man kann sich unter der Erde kaum noch denken hören. Ich fahre am Wochenende in die Catskill Mountains, um ein bisschen Ruhe zu finden – die meisten meines Volkes leben schon das ganze Jahr über dort. Leider wird da augenblicklich auch nach Gasvorkommen gebohrt, aber es ist bisher noch nicht so fürchterlich laut.«
»Das bedeutet, dass Dee in den Tunneln von New York freie Bahn hat«, schloss Oberon.
»Damit hast du Recht, aber wenn ich meine Leute wieder in die Stadt beordere, wer sagt uns, dass wir nicht ebenso vergiftet werden wie die Sylphen?«
»Niemand, aber irgendjemand muss die Wasserversorgung im Auge behalten. Wenn Dee sich dort festsetzen kann …« Oberon unterbrach sich, als Sadie mit unserem Essen kam. Ich fragte mich, wie sie die Teller durch die Kuppel bekommen würde, aber sie schob sie einfach hindurch, als ob es das Kristall gar nicht gäbe. Als sie ihre Lippen bewegte, hörte ich allerdings kein Wort von dem, was sie sagte.
Noam grinste sie an und hob den Daumen, dann wandte er sich wieder an Oberon. »Okay. Ich kann ein paar Arbeiter dazu bringen, die Croton-Talsperre zu bewachen«, sagte er, »und die U-Bahnlinien der Independent-Gesellschaft, die nach Midtown führen. Aber es wird sich niemand ins Gebiet jenseits der 14th Street trauen, nicht, solange Du-weißt-schon-wer im Rathaus sitzt.«
»Verständlich. Was ist mit den U-Bahnen der Interborough Rapid Transit Company?«
Während die beiden Männer diskutierten, wie die Wasserversorgung und das U-Bahnnetz der Stadt am besten zu schützen seien, aß ich meinen Borschtsch und die Blinis. Der Borschtsch war leuchtend rot und essigsauer; an den Stellen, an denen der Klacks Sauerrahm schon geschmolzen war, schimmerte er leicht rosa. Die Blinis waren am Rand schön kross und mit einem weichen, süßen Käse gefüllt. Ich aß jeden Krümel auf und lehnte mich dann zurück, um den Tee aus meiner Plastiktasse zu trinken. Die Männer hatten den größten Teil des unterirdischen Manhattan bereits aufgeteilt, und für mich schien es nicht viel zu tun zu geben. Auch war noch nicht die Rede davon gewesen, mich zu erden , was auch immer sich dahinter verbergen mochte. Irgendwie hatte ich das Gefühl,
dass es nicht darum ging, dass ich während des Kampfes gegen John Dee irgendwo festwuchs.
Schließlich sah Noam mich an und wandte sich dann wieder an Oberon. »Dort unten ist es ganz schön unübersichtlich. Wenn sie unter der Erde gegen Dee kämpfen muss, dann wird sie Hilfe bei der Orientierung brauchen.«
Unter der Erde gegen Dee kämpfen? Das gefiel mir überhaupt nicht. Auch wenn es recht angsteinflößend gewesen war, über die Stadt dahinzufliegen, so war mir das doch wesentlich lieber, als einem Gegner unter der Oberfläche entgegentreten zu müssen, wo es außer Dees Schergen vielleicht auch noch riesenhafte Ratten und mutierte Kakerlaken gab.
»Äh … na ja, ihr könntet mir ja vielleicht eine Karte geben«, schlug ich vor.
Noam lächelte schlau und griff wieder in den kleinen, grauen Beutel. »Da habe ich etwas Besseres, mein Liebchen.« Er schüttelte sich die Steine auf die Hand. Vielleicht bekomme ich jetzt einen magischen Diamanten, dachte ich und beugte mich vor, um zu sehen, was da auf Noams Handfläche lag. Bei dem Stein, den er nun wählte, handelte es sich jedoch nicht um einen Diamanten. Er war
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