Black Swan - Silberner Fluch
Bilder, wie Jay in der Badewanne einschlief und unter Wasser rutschte, und mit feuchten Händen drückte ich die Klinke. Mein erster Blick galt der altmodischen Wanne mit den Klauenfüßen. Der Duschvorhang war weit genug zurückgezogen, um
mich gleich zu überzeugen, dass sie leer und trocken war. Allerdings musste vor kurzem noch jemand gebadet haben, denn auf dem Boden lag ein Knäuel nasser Handtücher … Hatte Jay seine eigenen Handtücher mitgebracht? Ich war mir ziemlich sicher, dass mein Vater nur weiße Handtücher benutzte und keine mit Blumenmuster in Rot und Pink. Sie waren triefnass. Nun sah ich, dass sich der Duschvorhang leicht bewegte, als ihn die Zugluft vom offenen Fenster über der Wanne erfasste, das halb verdeckt war. Vielleicht hatte es hereingeregnet … obwohl letzte Nacht zumindest auf Governors Island kein Tropfen gefallen war … und Jay hatte mit den Handtüchern den Boden aufgewischt.
Ich schloss das Fenster und kniete mich dann hin, um die Tücher aufzuheben. Das Blumenmuster in meiner Hand verwandelte sich in Blutflecken. Entsetzt sah ich auf den Boden. Die Fliesen waren blutverschmiert, selbst die Fugen waren rot.
Mit wild klopfendem Herzen stand ich auf und verließ das Bad, das blutige Handtuch noch immer in der Hand. Hastig lief ich zum Telefon, das im Wohnzimmer meines Vaters stand. Erst wollte ich einen Krankenwagen rufen, doch als ich den Hörer abhob, ging mir auf, dass ich keinen Notruf wegen einem blutigen Handtuch tätigen konnte. Auf dem Telefon blinkte die Nachrichtenanzeige. Mit zitternden Fingern drückte ich die »Play«-Taste. Die digitale Stimme des kleinen Apparats verkündete zweiundzwanzig neue Nachrichten.
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus, als ich Jays Stimme hörte. Es geht ihm gut, dachte ich, als ich seinen typischen, umständlichen Uhs und Ahs lauschte, vielleicht
hat er sich nur beim Rasieren geschnitten oder … oder sonst was … und er wollte anrufen, damit ich mir keine Sorgen machte, wenn ich das ganze Blut im Badezimmer sah. »Äh … Garet … ich hab’s schon auf deinem Handy probiert … äh, hier ist Jay.« Der gute Jay war Meister im großen Drumherumreden. Er hatte mir einmal eine fünfzehn Minuten lange Nachricht auf meiner Mailbox hinterlassen, um mir die Handlung eines Stummfilms zu schildern, den er gerade in seinem Filmseminar gesehen hatte. »Aber wahrscheinlich hast du die ganzen Nachrichten gar nicht abgehört, sonst hättest du dich ja sicher gemeldet. Also, wenn du das hier hörst …« Ein Geräusch im Hintergrund unterbrach ihn; es klang wie eine Lautsprecherdurchsage in einem hallenden Flur. »Ja, also … äh … du solltest so bald wie möglich hierherkommen.« Damit war die Nachricht zu Ende.
»Wo ist hier, Jay?«, brüllte ich, während ich darauf wartete, dass die nächste Nachricht abgespielt wurde. Es war noch einmal Jay.
»Hey Garet, als ich aufgelegt hatte, ist mir eingefallen, wenn du meine anderen Nachrichten nicht bekommen hast, dann weißt du ja gar nicht, wo ich bin oder was passiert ist. Also, ich bin im St. Vincent’s. Es geht um Beck …« Seine Stimme brach, als er ihren Namen sagte. »Sie hat versucht sich umzubringen. Bitte komm, so schnell du kannst.«
Ich rannte zum Krankenhaus, ohne mich vorher auch nur umzuziehen. Erst, als ich im Fahrstuhl stand und zur Psychiatrischen Abteilung hinauffuhr, wo Becky lag, wie man mir an der Information gesagt hatte, wurde mir klar,
dass ich roch wie der East River und dass ein schlickiger Gestank von mir ausging, der irgendwie perfekt zu meiner ganzen Situation zu passen schien. Ich ging langsam unter. Dee hatte erst meinen Vater erwischt und sich dann meine beste Freundin vorgenommen. Wer käme als Nächster an die Reihe? Würde ich alle und jeden verlieren, wenn ich weiter versuchen würde, ihn aufzuhalten?
Ich fand Beckys Zimmer, aber als ich eintrat, war ich zunächst überzeugt, mich in der Tür geirrt zu haben. Die Person, die dort im Bett lag, konnte nicht Becky sein. Sicher, meine Freundin war nicht groß, aber der Körper dieser Kranken hier zeichnete sich fast gar nicht unter den sorgsam festgesteckten Laken ab. Und wann hatte Becky je so still dagelegen? Ich hatte oft genug, wenn wir beieinander übernachteten, mit ihr ein Bett geteilt und mich vor ihren Tritten in Sicherheit bringen müssen, weil sie so unruhig schlief. Diese Kranke hier hatte sich flach auf dem Rücken ausgestreckt, die weiß umwickelten Arme lagen links und rechts auf der
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