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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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geheimnisvollen Schuhmacher gefertigt wurden, und sich dann zu Tode tanzt. Es war geradezu psychedelisch … und sehr freudianisch. Das Gesicht des Schusters wurde zu dem ihres Geliebten und dann zu Lermontovs. Mir war vorher gar nicht aufgefallen, wie sehr Lermontov John Dee ähnelte … aber natürlich hatte ich Dee auch noch gar nicht gekannt, als ich den Film das erste Mal gesehen hatte.
    Jetzt verstand ich, wie sehr der Film Becky berührt haben musste. Auf ihre eigene Art und Weise dürstete Becky
genauso nach Erfolg wie die Ballerina Victoria Page. Sie sah Moira Shearer mit ihren wilden roten Locken sogar ein wenig ähnlich. Und plötzlich fiel mir auf, dass der Schauspieler in der Rolle des Komponisten, der sich in Vicky verliebt, Jay ziemlich ähnlich sah.
    Wahrscheinlich war ich ein wenig eingedöst, denn als ich wieder zu mir kam und mich mit dem Weinglas in der Hand aufsetzte, lief bereits die vorletzte Szene, in der Lermontov Vicky eröffnet, dass sie sich entscheiden muss zwischen der Karriere einer großen Tänzerin oder dem ganz normalen Leben einer Hausfrau. Dunkel erinnerte ich mich daran, dass ich damals, als wir den Film zum ersten Mal sahen, ausgiebig mit Becky über diese Szene diskutiert hatte.
    »Wieso muss Vicky sich entscheiden?«, hatte ich gefragt.
    »Weil das nun mal so ist!«, hatte Becky geantwortet. »Niemand kann beides haben.«
    Jetzt sah ich, dass Lermontov und Becky Recht gehabt hatten. Die meisten großen Künstler hatten kein Glück in der Liebe – es sei denn, dass sie eine Beziehung mit jemandem hatten, der seine eigenen Wünsche und Ziele den ihren unterordnete. Menschen, die versuchten, ein ganz normales Leben zu führen – wie Zach und Jay und ich – scheiterten in ihrer Kunst. In Wahrheit scheiterten wir in jeder Hinsicht. Ich war so sehr damit beschäftigt gewesen, die Welt zu retten, dass mir überhaupt nicht aufgefallen war, dass meine beste Freundin Probleme hatte. Jetzt lag sie genau wie mein Vater im Krankenhaus. Wie viele der Menschen, die ich liebte, würden durch meine Gedankenlosigkeit noch zu Schaden kommen? Ich
war weder im Leben noch in meiner Kunst besonders gut, dachte ich, während ich zusah, wie Vicky Page aus dem Theater lief und sich vor den Zug nach Paris warf. Ich verstand, wieso sie das tat; die Wahl fiel einfach zu schwer. Zumindest konnte sie nun die roten Schuhe abstreifen und sich ausruhen.
    Ich nahm die Fernbedienung und wollte den Fernseher ausschalten, als Robert Osborne wieder ins Bild kam. Er saß in seinem roten Sessel vor dem knisternden Feuer und hielt ein Weinglas in der Hand.
    » Die roten Schuhe war ein Flop, als der Film 1948 erschien«, sagte er. »Vielen Kinogängern war die Botschaft zu extrem – dass es nämlich besser ist, für die Kunst zu sterben, als für das Nichts zu leben. Aber wir wissen, was die richtige Entscheidung ist, nicht wahr?« Robert Osborne lächelte – selbst die Frau in dem Porträt über dem Kamin schien zu lächeln -, und ich nickte zustimmend. Inzwischen saß ich auf der Sofakante und hatte mich so nahe zum Fernseher gebeugt, dass ich das bernsteinfarbene Glühen in Robert Osbornes Augen erkennen konnte. Er sah mich direkt an und forderte mich auf, das Rechte zu tun. Es war das Rechte. Denn Robert Osborne wusste schließlich alles. Plötzlich glaubte ich zu verstehen, dass Robert Osborne mir als spiritueller Führer gesandt worden war. Es war ein seltsames Gefühl und auch irgendwie unangenehm, aber völlig schlüssig. Ich musste Robert Osborne folgen.
    Ich stand auf und ging ins Bad. Die Rasierklinge, die Becky verwendet hatte, lag noch immer auf dem Rand des Waschbeckens. Als ich sie zur Hand nahm, sah ich meine Augen im Spiegel. Meine Pupillen hatten sich so weit ausgedehnt,
dass sie meine Iris verdrängten, und meine Augen sahen schwarz und leer aus, eine kalte Leere, die in mir aufstieg wie Wasser, das einen dunklen Brunnen füllte. Ich würde darin ertrinken, wenn ich nicht bald etwas tat.
    Als ich den Blick senkte, entdeckte ich, dass meine Linke die Klinge über meinem rechten Handgelenk hielt. Komisch, dachte ich, als ich probeweise damit über meine Haut fuhr, ich bin Rechtshänderin. Eine dünne, rote Linie erschien. Befreie das Dunkle. Ich hörte das Rauschen meines eigenen Blutes, das gegen meine Haut pochte, als wolle es mit aller Macht nach draußen drängen. Aber das Geräusch kam von der Badewanne. Die Ringe, an denen der Duschvorhang befestigt war, klapperten gegen die Stange. Jay hatte

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