Black Swan - Silberner Fluch
riesiges Gebläse.«
»Wie kommen wir daran vorbei?«
Will antwortete nicht. Als ich mich umwandte, sah ich ihn am Boden kauern, das Gesicht aschgrau. »Will!« Ich rief seinen Namen und nahm seine Hand. Ein Energiestrom sprang von mir auf ihn über. Sofort verlor seine Haut die graue Färbung, und er öffnete die Augen. Mit einem Ruck setzte er sich auf und sah mich an; seine silbernen Augen blitzten wie Spiegel. »Wie hast du das gemacht?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht.« Ohne den Kontakt zu ihm abreißen zu lassen, drehte ich die Handfläche nach oben und sah, dass der Kompasskiesel unter meiner Haut glühte. »Oberon sagte, der Stein würde mich erden. Zwar fühle ich die Energie immer noch, aber nun fließt sie durch mich hindurch.« Ich stand auf und half Will mühelos auf die Beine. Die Energie pulsierte durch meinen Körper, zog mich aber nicht länger hinab. Es fühlte sich vielmehr so an, als stünde ich unter einem kühlenden Wasserfall … als würde mir das Kraftfeld Energie verleihen . »Komm«, sagte ich, »halte dich an meiner Hand fest.«
Nun war es leicht, die Treppe zu erklimmen. Es war, als brächte mich eine spiralförmige Rolltreppe weiter nach oben. Die ganze Treppe bebte vor Energie und verursachte ein leises Summen, das mich an das Lied erinnerte, das ich im Wind gehört hatte. »Irgendwie verstehe ich das nicht«, sagte ich über meine Schulter zu Will. »Ich dachte, Dee würde Dämonen herbeirufen, aber diese Energiewelle fühlt sich überhaupt nicht böse an – sie ist toll!«
Will lachte. »Wie kommst du darauf, dass sich das Böse
nicht gut anfühlen könnte? Du hast letzte Nacht mit einem Dämon geschlafen. Willst du mir vielleicht sagen, das hätte sich nicht gut angefühlt?«
Wieder sah ich mich zu ihm um. Er leuchtete wie eine von Licht durchflutete Alabastervase und sah viel eher wie ein Engel denn wie ein Dämon aus. »Du bist kein Dämon«, sagte ich.
»Da würden dir einige widersprechen.« Er lächelte traurig und berührte mein Gesicht. Der Energiekontakt ließ ein paar Funken fliegen. »Aber so oder so ist diese Energie weder gut noch böse, sie ist nur eine Kraft, ein Motor, der eben das vorantreibt, wofür man ihn einsetzt. Die beiden Dämonen, die Dee heraufbeschworen hat, lassen mich wie ein Engel aussehen. Wir sollten uns beeilen.«
Er sah so wunderschön aus, dass ich mich kaum von seinem Anblick losreißen konnte, aber er hatte Recht. Ich stieg die Treppe weiter hinauf, aber auf dem nächsten Absatz legte mir Will die Hand auf den Arm und hielt mich zurück. »Warte.« Er deutete auf die Stufen über unseren Köpfen. »Dort ist irgendjemand – oder irgendetwas – auf der Treppe über uns.«
Ich sah auf und erkannte, was er meinte. Da die Stufen aus gelochten Eisenblechen waren, konnte man bis ganz nach oben sehen. Auf der nächsten Ebene blockierte etwas das Licht – etwas Großes und Dunkles. Ich beobachtete es eine kleine Weile, ohne eine Bewegung wahrnehmen zu können. »Wir schauen besser nach, was es ist«, flüsterte ich.
Langsam und leise schlichen wir die letzten Windungen der Treppe nach oben. Als wir um die letzte Ecke bogen, entdeckte ich, dass der große, bewegungslose Körper
Oberon gehörte. Er war mit einem Gewebe aus Ketten an die Treppe geschnallt, als hätte eine Spinne ein feines Eisennetz gesponnen, in dem er sich verfangen hatte. Seine Augen waren offen und starrten mit leerem Blick zur Spitze des Turms empor.
»Ist er tot?«, fragte ich.
»Es ist nicht leicht, einen Elfen zu töten. Ich vermute, er ist nur in Eisen gelegt .«
»Aber er hat gesagt, dass nur die kleineren Unirdischen das Eisen fürchten müssen.«
»Normalerweise stimmt das auch, aber das hier ist sehr viel Eisen, und Dee muss ein richtiges Netz konstruiert haben, um ihn festzusetzen.«
Ich kniete mich hin und sah Oberon ins Gesicht. Seine Augen waren blassblau wie Milchglas – Murmeln ohne Leben. Sein Gesicht war von heftigem Schmerz verzerrt. Er hatte mich hintergangen, mich dem Tod überlassen, aber ich konnte es dennoch nicht ertragen, den König der Elfen wie eine Stubenfliege geleimt zu sehen. Als ich ihm die Hand auf die Brust legte, um seinen Herzschlag zu fühlen, bewegten sich die eisblauen Augen in ihren Höhlen und blickten in meine Richtung.
»Marguerite?« Es war ein heiseres Krächzen, das kaum hörbar über seine trockenen, gesprungenen Lippen kam.
»Ich bin es, Garet«, sagte ich. »Warte, ich nehme dir diese Ketten ab …« Mit den Fingern
Weitere Kostenlose Bücher